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Wolfgang Sterneck
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Kulturzentren:
- Kulturfabrik Wetzikon / Warum Kulturzentren?
- Schüfi / Kultur
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WARUM KULTURZENTREN ?
- Sieben Thesen -

1. Aufhebung von Isolation:
In einer Gesellschaft der zunehmenden Isolation von Einzelnen und gesellschaftlichen Gruppierungen soll ein Kulturzentrum Kommunikationsraum anbieten, in dem Begegnung und Auseinandersetzung möglich wird.

2. Begegnung:
Begegnung ist nur auf der Basis von Freiwilligkeit und Selbstverantwortung möglich. Dazu gehören flexible und transparente Organisationsstrukturen, die konsequente Ablehnung von Profitdenken und die Kooperationsbereitschaft von allen Beteiligten.

3. Kultur:
Nur so kann Kultur das sein,was sie ursprünglich ist: Die Gesamtheit der geistigen und künstlerischen Lebensäußerungen einer Gemeinde, Stadt, Quartier etc.

4. Kommunikation:
An Stelle der technifizierten und programmierten Formen sollen vermehrt kreative und sinnliche Formen von Kommunikation wiederentdeckt werden.

5. Basisarbeit:
Statt einfach die Basis mit Kultur zu beliefern, sollen vielmehr neue, auch unkonventionelle Tendenzen von Kulturäußerungen aus der Basis heraus gefordert werden.

6. Entwicklung:
Die Praxis eines Kulturzentrums widersetzt sich einer endgültigen Definition. Sie ist vielmehr immer Summe aller Aktivitäten, für die das Kulturzentrum einen Rahmen bietet. Damit ist sie Spiegel des gesellschaftlichen Kulturprozesses.

7. Autonomie:
Autonomie in unserem Falle sollte heißen: Ökonomische und ideelle Unabhängigkeit von allen Einzelpersonen und Instanzen, die nicht unmittelbar an unserer Kulturarbeit beteiligt sind.

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Schüfi:

KULTUR

Eine gängige Definition von Kultur ist: Sämtliche Äußerungen des menschlichen Daseins, Bezeugungen seines Lebens und Wirkens. Die Kultur einer Epoche und eines geographischen Raumes wird geprägt durch die Denkweise, die Ideologien der Menschen, die darin leben. Ideologien und Denkweisen werden aber auch die wirtschaftlichen Bedingungen vorgegeben. Menschen, die in einer Stammesgesellschaft leben, haben also eine andere Kultur, als solche, die in einem Feudalsystem leben etc.

Worauf ich hinaus will: Die gemeinsame Kultur ist eine wesentliche Basis für das Selbstvertrauen und die Identität einer Gruppe von Menschen. Völker, die andere Völker unterworfen haben, pflegen ihnen ihre Kultur aufzuzwingen. Sie brechen damit den Widerstand der Unterworfenen, die ohne eigene Kultur auch keine Identität mehr haben, welche sie vom Siegervolk unterscheidet und für die es sich zu wehren lohnte. Nun ist heute das (fast) alles beherrschende und unterwerfende System kein einzelnes Volk mehr, sondern eben ein gesellschaftliches Modell, welches den Machtbesitzern ermöglicht, auf Kosten der produzierenden Mehrheit riesige materielle Gewinne zu verbuchen und so ihre Macht zu sichern. Dieses Modell ist als System so aggressiv und expansionsbedürftig, dass es alle andern älteren Gesellschaftsmodelle verdrängt. Alle Lebensbereiche (eben die ganze Kultur) werden durch die Zwänge des Modells bestimmt, dessen Hauptzwang aber in der ”Konkurrenzfähigkeit” der einzelnen Menschengruppen (heute sind das Nationalstaaten oder -Bündnisse) zu einander besteht. So kann es sich kein ”Volk” dieser Erde leisten, nicht mitzumachen, ohne völlig an den Rand gedrängt zu werden, in die totale Armut. So übernehmen sie also alle die Methoden und die Kultur des vorherrschenden Modells. Die Kultur diese Modells, welches nach der Maximierung der mögliche Profite strebt, kann also nur eine Profitkultur sein, d.h. sie wird zur Handelsware mit Produzenten (Besitzer der Produktionsmittel) und, klar, Konsumenten, welche die Nachfrage verkörpern.

Also nochmal: Die Äußerungen menschlichen Daseins sind heute käufliche Waren, welche vorwiegend im Lichte des Umsatzes begutachtet wird; unwesentlich wird- der eigentliche Inhalt: Die Äußerung, die freudige Darstellung des Menschen durch sich selbst. Das wäre also das eine.

Das Andere: Im Laufe dieses ganzen Unterwerfungsprozesses gab es immer wieder Versuche, dieser Vereinnahmung etwas entgegenzusetzen, teils aus der konservativen Überlegung, dem ”Kulturzerfall” entgegenzuwirken, teils von Leuten, die ihre eigenen Kulturformen und Normen entwickelten, da die gängigen sie nicht befriedigen konnten. In einer Gesellschaft aber, wo es nicht darauf ankommt, was man macht oder wie, sondern nur, dass dabei materiell was rausschaut, ist es natürlich sehr leicht, jede neue Äußerungsform, jede Subkultur zu kaufen, um sie gewinnbringend weiter zu veräußern. So wurde die Widerstandskultur vorweg aufgesogen, geschluckt und, selbstverständlich, dadurch verwässert und weitgehend unschädlich gemacht. (Was mich als Rockmusiker natürlich wirklich hart trifft).

Trotzdem haben die Versuche unsererseits nicht aufgehört, dem Profitmodell unsere eigene, freiere Kultur entgegenzustellen. Innerhalb des Profitmodells kann dies aber immer nur teilweise gelingen: Wir sind von den Infrastrukturbedürfnissen her großenteils auf die Technologie des Systems angewiesen: Bauten, Energie, Transporte... Wir waren immer bloß einige wenige Überzeugte, welche für eigene, den Profitgesetzen nicht unterliegende Kulturformen kämpften. Vor allem kämpften wir um Räume, da in hiesigen Breitengraden Kultur dreiviertel des Jahres drinnen stattfindet. (Kultur: Lebensäusserungen, Kommunikationsformen). Auch unsere ’freiere’. Wir brauchten und brauchen diese Räume vor allem, um überhaupt herauszufinden, was denn unsere Kultur sein kann, wieweit sie sich aus den Konsumgedankengängen lösen kann, um zu experimentieren, um uns zu finden und zu sammeln. Da zu unseren Experimenten auch die echte Selbstverwaltung gehört, und zwar mit Betonung auf echt und selbst, nicht auf Verwaltung, brauchen wir Orte, wo wir über längere Zeiten unsere eigenen Systeme und Modelle, zu arbeiten, zu wohnen, zu planen, zu feiern - einfach: zu leben - ausprobieren können. Unsere Kulturzentren sind zwar häufig aus dem Bedürfnis nach mehr Freizeitmöglichkeiten für die produzierende und konsumierende Bevölkerung entstanden, wenn wir sie aber richtig zu nutzen wissen, können wir uns wirklich daran machen, eine Kultur aufzubauen, welche unseren Werten entspricht, welche im ”gegenseitigen Einverständnis” mit der Natur, mit den Eigenheiten der Menschen, neue Gedankenwelten öffnen und welche zum ersten Mal vielleicht neue wirtschaftliche Bedingungen erzwingt statt umgekehrt: Versuchen wir also, glaubwürdig zu sein, und uns nicht von der Konsumkultur schlucken zu lassen...

aus: Blinker Nr. 58, März / April 1989.
Zeitschrift der Kulturfabrik Wetzikon (Schweiz)


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