|
|
Nicolas Saunders:
ECSTASY UND PARTY
Der Begriff Ecstasy bezeichnet im engeren Sinn MDMA, er wird jedoch
mittlerweile für eine ganze Gruppe unterschiedlicher Substanzen
verwendet, denen gemeinsam ist, daß sie üblicherweise
in Pillenform in der Party-Szene zirkulieren. Die Wirkungen von
MDMA bzw. Ecstasy liegen kurzfristig in einer verstärkten
Freisetzung bestimmter Neurotransmitter im Gehirn, die wiederum
zu einer Entspannung der Muskeln, sowie zu Veränderungen im
Bereich der emotionalen Empfindungen und der Wahrnehmung von Schmerzen
führen. Langfristig besteht je nach Dosierung die Möglichkeit
einer langfristigen, schädigenden Wirkung auf bestimmte Gehirnzellen.
Meistens beschreiben KonsumentInnen die psychischen Wirkungen euphorisch
mit Begriffen wie Offenheit, Sensibilität, Zuneigung und Liebe.
Dabei bewirkt MDMA im Grunde kein neues Gefühl, sondern macht
es den KonsumentInnen leichter gefühlsmäßige Blockierungen
und Ängste zu überwinden bzw. in einen Zustand zu gelangen,
der gleichermaßen Entspannung und Anregung einschließt.
So angenehm diese Empfindungen sind, im zwischenmenschlichen Bereich
haben sie auch ihre Gefahren. Wer Ecstasy nicht kennt, kann mit
der plötzlich vorhandenen Warmherzigkeit seines Gegenübers
nicht immer etwas anfangen, zumal es im Gegensatz zu Alkohol nicht
so leicht ersichtlich ist, ob jemand Ecstasy genommen hat. Rückhaltlose
Offenheit und das damit verbundene impulsive Verhalten haben schon
zu manchen Schritten geführt, die hinterher bitter bereut wurden.
Die auf Ecstasy auftretenden Gefühle mögen zwar unverstellt
sein, es ist aber nicht immer klug, sie direkt zum Ausdruck zu bringen.
Trotz der positiven emotionalen Wirkungen ist Ecstasy keine Pille
die automatisch zu einem Glücksgefühl führt. Auch
wenn die meisten Menschen es als beglückend empfinden, wenn
ihre üblichen Blockaden nicht vorhanden sind und sie einfach
loslassen können, hängt das entstehende Gefühl sehr
von der einzelnen Person, ihrer augenblicklichen Gefühlslage
und von der Umgebung ab. Auf Raves führen die durch Ecstasy
ausgelösten Wirkungen dazu, daß man sich viel besser
auf die Musik, die eigenen Bewegungen und die Stimmung auf der Party
einlassen kann. Das Gefühl das Ecstasy beim Tanzen hervorruft
ist mit dem entspannten Zustand, den die gleiche Substanz in einer
ruhigen Umgebung erzeugt, in der sich der Körper im Liegen
entspannt, allerdings nicht zu vergleichen.
Neben MDMA haben noch zwei andere Substanzen Wirkungen, die der
von MDMA ähnlich sind, von erfahrenen DrogenbenutzerInnen aber
voneinander unterschieden werden können (MDEA und MDA). Anderen
wiederum ist es ziemlich egal, was und wieviel ihnen genau als Ecstasy
verkauft wird. Zudem führt in den meisten Fällen die Illegalisierung
und die fehlende Möglichkeit zu verläßlichen Analysen
dazu, daß die KonsumentInnen normalerweise ohnehin nicht genau
wissen, was und wieviel sie schlucken. Viele Personen, die regelmäßig
Ecstasy nehmen, glauben, daß die Qualität der Pillen
sich verschlechtert habe. Tatsächlich ist es häufig weniger
die chemische Zusammensetzung, die sich geändert hat, als die
Wirkung auf die Person selbst, die bei häufigen Gebrauch in
kurzen Abständen deutlich nachläßt.
MDMA wurde am Heiligabend 1912 von der Firma Merck zum Patent angemeldet,
ohne danach vermarktet zu werden. Doch erst der Stiefvater
von Ecstasy, der Chemiker Alexander Shulgin holte dieses lange in
Vergessenheit geratene Weihnachtsgeschenk in der Mitte
der siebziger Jahre wieder aus der Versenkung und synthetisierte
es erneut. Danach wurde die Substanz vor allem in den USA als Hilfsmittel
bei psychotherapeutischen Prozessen und als Katalysator für
die Selbstentfaltung genutzt. In diesen Zeiten hatte es fast den
Status eines Sakraments; es wurde nicht in großen Mengen unter
die Leute gebracht, sondern in kleinen Zirkeln weitergegeben, um
die damit erfahrbaren Bewußtseinsqualitäten auf möglichst
verantwortliche Weise zu hüten und zu teilen. MDMA galt als
spirituelle Medizin, die es erlaubte, die unterdrückten,
wahren Seiten des Menschen in seinem Urzustand zum Vorschein kommen
zu lassen. Deswegen wurde die Substanz damals auch Adam genannt.
In der Mitte der achtziger Jahre war MDMA noch legal, aber das
sollte sich bald ändern, denn der Ruf der Glückspille
führte dazu, daß die Substanz die Neugier größerer
Kreise auf sich zog und schließlich unter dem Namen Ecstasy
vermarktet und konsumiert wurde. Aufgeschreckte US-Behörden
verboten die Substanz im Eilverfahren, über internationale
Abkommen trat das Verbot dann bald weltweit in Kraft. Die Illegalisierung
führte umgehend zur Entstehung eines rasant wachsenden Schwarzmarktes
mit Erscheinungen wie gepanschten und verunreinigten Pillen. Es
war nicht verwunderlich, daß als Folge dieser Bedingungen
und der mangelnden Aufklärung plötzlich auch negative
Begleiterscheinungen zu beobachten waren. So war viel zu wenig über
die Gefahr der Überhitzung bzw. der Notwendigkeit einer ausgiebigen
Flüssigkeitszunahme bekannt. Der ursprüngliche Gebrauch
der Substanz als Sakrament blieb dabei langfristig weitgehend auf
der Strecke. Die etablierte Gesellschaft hatte sich mit ihrer repressiven
Politik ein neues Drogenproblem geschaffen.
Ende der achtziger Jahre kam die Verwendung von Ecstasy als Party-
und Tanzdroge auf. Explosionsartig hatte sich mit der Rave-Szene
eine Kultur entwickelt, in der das Bedürfnis nach ekstatischen
Vergnügen einen neuen Ausdruck fand. Die anfänglichen
freien Parties in leerstehenden Lagerhäusern und ähnlichen
Locations entwickelten sich zu einem Massenvergnügen, das auf
der ganzen Welt in den entsprechenden Clubs zelebriert wurde. Trotz
der übertriebenen und von Horrormeldungen durchsetzten Berichterstattung
nahm die Partykultur in ihrer Anziehungskraft beständig zu.
Inzwischen hat sich die Partykultur jedoch grundlegend verändert.
Zu Beginn verstanden sich alle, die auf Ecstasy feierten und tanzten,
als Teil einer großen, glücklichen Familie,
in der es zwischen den Menschen keine Schranken gab. Ähnlich
wie beim Aufkommen von LSD in den Sechzigern bildeten Hautfarbe,
Bildungsstand, sexuelle Orientierungen oder Sprachen keine Barrieren
mehr. Was zählte, war nur die Tatsache, ob man in die magische
Welt des nächtelangen Tanzens, der offenen Herzen und des Ecstasy
eingeführt worden war oder nicht.
Auf den ersten Parties gab es keine Verhaltensregeln, alle kamen,
wie sie wollten, ließen los und waren einfach er oder sie
selbst. Unmerklich jedoch paßten sich die RaverInnen einander
an, bis sich ein allgemein akzeptierter Verhaltenskodex entwickelt
hatte, durch den sich die RaverInnen unabhängig von ihrer Drogenerfahrung
von Außenstehenden abhoben. Dann wurde die Techno-Kultur zunehmend
kommerzialisiert und spaltete sich in einzelne, zum Teil konkurrierende
Fraktionen auf. Während beispielsweise in einigen Ländern
beim Tanzen die Hände mit den weißen Handschuhen in die
Höhe geworfen wurden, war man in anderen Ländern schon
einen Schritt weiter, hörte andere Musik und war
viel cooler.
Wohin langfristig die Reise geht, ist nur eingeschränkt absehbar.
Die wachsende Kommerzialisierung wird ihre Wirkungen haben, die
sensationsgierige Berichterstattung wird weiterhin viele MitläuferInnen
auf Ecstasy aufmerksam machen. Sie weden das, was anfangs in den
durchtanzten Nächten an Gemeinschaftsgefühl erlebt wurde,
gar nicht mehr kennenlernen. Vielleicht haben die mit Ecstasy erlebbaren
Erfahrungsqualitäten im Laufe der Zeit Auswirkungen auf das
zwischenmenschliche Miteinander. Vielleicht wird vieles, was gegenwärtig
auf Droge erlebt wird, irgendwann normaler Bestandteil
des alltäglichen Empfindens. Vielleicht - Die weiteren Kapitel
der Ecstasy-Geschichte werden erst noch geschrieben...
www.ecstasy.org
Dank an den Nachtschatten Verlag.
|