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Günter Amendt:
DIE INTERNATIONALE BILANZ DES WAR ON DRUGS
Es ist schon erstaunlich, wie locker, unbefangen, ja skrupellos
nach wie vor Politiker und Politikerinnen die Ausweitung des "Krieges
gegen Drogen" propagieren. Dieser mittlerweile dreissigjährige
Krieg ist eine blutige Realität und keine harmlose Metapher.
Der Einsatz militärischer, polizeilicher und geheimdienstlicher
Gewaltmittel schafft Opfer auf beiden Seiten; insbesondere in den
Produzentenländern Asiens und Lateinamerikas.
Seine Legitimation bezieht dieser "war on drugs" aus
dem 1912 von den damaligen Grossmächten initiierten Haager
Abkommen, das eine bestimmte Gruppe von toxischen Stoffen ächtete
und damit, wie Körner schreibt, "die Grundlage für
die Drogenprohibition im 20. Jahrhundert" bildete. In den folgenden
Jahrzehnten traten nicht nur immer mehr Staaten dem internationalen
Opiumabkommen bei einige allerdings nur unter Druck der Grossmächte
in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg wurden über
die klassischen Suchtstoffe hinaus immer mehr psychoaktive Substanzen
der Betäubungsmittelgesetzgebung unterstellt. Seit 1971 sind
auch halluzinogene Stoffe, Stimulanzien, Sedativa und Tranquilizer
der Drogenkontrolle unterworfen.
Von einem "Drogenproblem" begann man in Europa aber erst
Ende der 60er Jahre zu sprechen, als mit Cannabis, Opiaten und Kokain
sogenannte kulturfremde Drogen den Jugendfreizeitmarkt der westlichen
Industriegesellschaften eroberten.
Die internationale Betäubungsmittelgesetzgebung ist geleitet
von der Überzeugung mit Hilfe eines engmaschigen Netzes von
Kontrollen, Einschränkungen und Verboten, den illegalen Handel
mit Drogen und deren Vor- und Zwischenprodukten verhindern zu können.
Staatsinterventionen zur Unterbindung des freien Handels mit Gütern
und Dienstleistungen sind in marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaften
nur dann vorgesehen, wenn übergeordnete Interessen berührt
sind, wenn, wie es in Artikel 1 des BtMG der BRD heisst, wegen "des
Ausmasses der missbräuchlichen Verwendung und wegen der unmittelbaren
oder mittelbaren Gefährdung der Gesundheit" die Kontrolle
des Verkehrs mit Betäubungsmitteln erforderlich wird.
Die Drogenprohibition bezieht also ihre Legitimation aus einem
der Kapitalverwertung übergeordneten Interesse: "Es geht
darum, den einzelnen Menschen, insbesondere den jungen Menschen
vor schweren nicht selten irreparablen Schäden an der Gesundheit
und damit an der Zerstörung seiner Persönlichkeit, seiner
Freiheit und seiner Existenz zu bewahren", wie es im Allgemeinen
Teil des 1971 novellierten BtMG der Bundesrepublik Deutschland heisst.
Ich will mich erst gar nicht dabei aufhalten herauszuarbeiten,
was schon damals an der, wie Bossong schreibt, "in Panik konzipierten
Drogenpolitik" der frühen 70er Jahre falsch und unhaltbar
war. Das Problem ist, dass die Axiome von damals auch drei Jahrzehnte
später noch immer Grundlage der internationalen Drogenpolitik
sind, obwohl sich die Fachöffentlichkeit doch längst darüber
einig ist, dass der Krieg verloren ist, und dass die "schweren
nicht selten irreparablen Schäden an der Gesundheit" junger
Menschen Ergebnis und Folge dieser gescheiterten Politik sind.
Nach wie vor werden die Konsumenten und Konsumentinnen von Drogen
in der Öffentlichkeit als Menschen wahrgenommen, die ausgebrannt
und grundsätzlich auf Hilfe von aussen angewiesen sind. Doch
diese Wahrnehmung ist blind gegenüber der Realität. Es
ist allgemein bekannt und sollte endlich offen ausgesprochen werden,
dass es auch einen genussorientierten, autonom kontrollierten Drogengebrauch
gibt. Die Mehrheit aller Konsumenten und Konsumentinnen von legalen
wie von illegalen Drogen nimmt sozial integriert und selbstbestimmt
am gesellschaftlichen Leben teil und ist auf keines der Versorgungssysteme
angewiesen. Sie nehmen Ecstasy und werfen Psychopillen, sie inhalieren
Nikotin und ziehen Marihuana, sie drücken Heroin und sniefen
Kokain, sie trinken Bier und kippen Schnaps, ohne aufzufallen und
ohne auszusteigen. Das ist die Realität, der mit moralischen
Appellen und prohibitiven Massnahmen nicht beizukommen ist.
Daran, dass der dauerhafte exzessive Konsum von psychoaktiven Substanzen
höchst riskant ist, kann kein Zweifel bestehen. Wer abstürzt
und in einen Suchtkreislauf gerät, zahlt einen hohen Preis.
Doch die Bereitschaft der Subjekte, Risiken in Kauf zu nehmen, ist
gestiegen und sie wird weiter steigen, weil viele darin die
einzige Chance sehen in einer Risikogesellschaft psychisch zu überleben.
Drogen auch illegale - sind zu einem festen Bestandteil
unserer Alltagskultur geworden. Was noch in den 60er Jahren als
abweichendes subkulturelles Verhalten galt, ist heute ein weitverbreitetes
Alltagsphänomen. In den 60er Jahren waren Bewusstseinsveränderung
und Bewusstseinserweiterung ein wichtiger Grund und zugleich eine
Selbstrechtfertigung, Drogen zu nehmen. Heute, mit der Renaissance
von Amphetamin und dessen Derivaten, ist die Suche nach Körpererfahrung
neben der Lust auf Spass das wichtigste Motiv. Und
viele jugendliche Drogenkonsumenten hatten bis in die Kindheit zurückreichende
Vorerfahrungen mit legalen Pharmapillen, bevor sie mit illegalen
Substanzen wie Ecstasy oder Cannabis erstmals in Berührung
kamen.
Das, was wir heute das Drogenproblem nennen, ist Ausdruck einer
gigantischen gesellschaftlichen Fehlentwicklung, Resultat fehlerhafter
Analysen und falscher Alternativen, ist Folge einer Blickverengung,
die sich auf jeweils nur einen bestimmten Aspekt des Problems fokussierte
und andere Aspekte ignorierte. Mal ist es der juristische, mal der
medizinisch - therapeutische, mal der präventive, mal der pharmakologische,
mal der kulturell-spirituelle Aspekt, mal der polizeilich-militärische,
mal, wenn auch seltener, der politisch-ökonomische Aspekt,
nie ist es der Blick aufs Ganze.
Und so konnte es geschehen, dass eine politische und soziale Frage
zu einem polizeilichen Leitthema werden konnte, welches von einer
an Krimi-Plots gewöhnten Öffentlichkeit bereitwillig akzeptiert
und übernommen wurde. "Das Drogenproblem wird aus
seinem sozialen, ökonomischen, kulturellen und psychischen
Kontext herausgerissen und auf ein "jeu à deux"
reduziert, auf einen Zweikampf zwischen internationalen, technisch
und wirtschaftlich versierten Kriminellen einerseits und einer mit
geeigneten Instrumenten ausgestatteten bzw. auszustattenden Polizei
anderseits." Das schreibt Heiner Busch in seiner soeben veröffentlichten
Studie "Polizeiliche Drogenbekämpfung eine internationale
Verstrickung".
Unter Verwendung allgemein zugänglicher Quellen beschreibt
Busch den Wandel der polizeilichen Verfolgungsstrategie von dem
in den 60er Jahren üblichen "Kilodenken" zur "operativen"
Bekämpfung des internationalen Drogenhandels als einer Sparte
der "Organisierten Kriminalität." Im Verlaufe dieses
Prozesses wurde der nationalstaatliche Radius der Polizei zugunsten
internationaler Kooperation aufgehoben. Bei der Entwicklung dieses
Drogenkontrollsystems haben sich nationale und supranationale Institutionen
herausgebildet, denen, wie Busch eindrücklich belegt, "Verantwortungen
nur noch begrenzt zugeordnet werden können". Die zuständigen
UN- Gremien aber auch die mit dem Kampf gegen Drogen befassten Polizeien
wie Europol und Interpol sind "systematisch von Kontrollen
freigestellt". In kaum einen anderen Bereich, resümiert
Busch, "waren die USA und die westlichen Staaten ähnlich
erfolgreich bei der weltweiten Durchsetzung ihres Politikansatzes."
Buschs Schlussfolgerungen sind alarmierend. Er hält den Abbau
des polizeilichen und militärischen Dispositivs, das zur Bekämpfung
des internationalen Drogenhandels aufgebaut wurde, für derzeit
"nicht denkbar". "Das unendliche Verfolgungsprogramm
und seine ständige Ausweitung erscheinen... als Dokument einer
unendlichen politischen Phantasielosigkeit: als ein Verzicht auf
jedes politische Eingreifen in den durch Strafrecht und Polizei
gesicherten kapitalistischen Markt, eine permanente Produktion von
Scheinlösungen mit unabsehbaren Kosten, sowohl finanzieller
Art als auch solcher für die Betroffenen." (Busch, S.
294)
Es muss in der Tat auffallen, dass in einer Zeit, in der das Primat
des Ökonomischen über das Politische sich durchgesetzt
hat, die internationale Drogenpolitik, in der jährlich nicht
nur Milliardenprofite auf der Produzenten- und Händlerseite
angehäuft werden, sondern auch Milliardensummen für Repressionskosten
zu Lasten der Steuerzahler ausgegeben werden, von jeder Kosten-Nutzen-Analyse
befreit ist. Nun könnte man einwenden, dass in der Illegalität
keine Bücher geführt werden und folglich eine Kosten-Nutzen-Analyse
praktisch nicht durchführbar sei. Dieser Einwand ist berechtigt
insofern, als er alle im Umlauf befindlichen Zahlen relativiert.
Das gilt auch für die der Vereinten Nationen. Auch ist nicht
zu übersehen, dass Zahlen über Umsatz- und Profiterwartungen
als Spielmaterial zur Durchsetzung politischer Ziele lanciert werden.
So wurden noch in den 80er Jahren Kritiker der herrschenden Drogenpolitik
der Übertreibung bezichtigt, wenn sie auf die ökonomische
und finanzwirtschaftliche Dimension des weltweiten Drogenhandels
hinwiesen. Die Regierungen der Hauptkonsumentenländer waren
daran interessiert, diese Seite des Problems klein zu halten, denn
je grösser ein Problem, desto grösser auch das politische
Versagen, wenn es nicht gelöst wird.
In den 90er Jahren mit dem Ende des Kalten Krieges änderte
sich plötzlich die Interessenlage. Jetzt konnte das Problem
gar nicht gross genug sein, denn die Geheimdienste der westlichen
Welt vom BND bis zur CIA - hatten bei der Suche nach einem
neuen Aufgabengebiet das Organisierte Verbrechen - in Sonderheit
den internationalen Drogenhandel - als neues Feindbild ins Visier
genommen und als Betätigungsfeld entdeckt. Von jetzt ab gilt:
Je grösser das Problem, desto grösser die Notwendigkeit,
die Dienste finanziell auszustatten und personell aufzurüsten.
Wenn sich schon Umsatz und Profit des illegalen Drogenhandels nach
den Massstäben einer ordentlichen Buchführung nicht ermitteln
lassen, so sollten doch wenigstens die Kosten der Drogenprohibition
auf Mark und Pfennig beziehungsweise Dollar und Cent bezifferbar
sein. Immerhin handelt es sich hier um Ausgabenposten, die in verschiedenen
Haushalten von Bund, Ländern und Gemeinden aufgeführt
sind. Doch um eine volkswirtschaftliche Gesamtbilanz hat sich die
Politik bisher herumgedrückt. Und so ist die Öffentlichkeit
auch hier auf Schätzungen angewiesen. Weil eine einheitliche
Berechnungsgrundlage nicht existiert, gehen die Schätzungen
weit auseinander.
Schon die reinen Repressionskosten also der Aufwand für
Polizei, Zoll und Justiz sowie für das Strafvollzugssystem
sind enorm. In den USA kämen die schwer bezifferbaren
Kosten für Militäreinsätze hinzu. Doch da gibt es
buchungstechnisch ein Zuordnungsproblem. Denn erklärtermassen
verfolgen die USA bei ihren Militäreinsätzen gegen Drogenproduzenten
und Drogenhändler oft ein sogenanntes second target, also ein
zweites mehr oder weniger heimliches Kriegsziel: Die Bekämpfung
von Guerillagruppen zum Beispiel. Allein in der Amtszeit von Präsident
Clinton kam es nach Recherchen des Berliner Kriminalitätsforschers
Bernd Georg Thamm zu rund 500 Militäreinsätzen. Ob die
zu Lasten der Drogen- oder der Aufstandsbekämpfung zu buchen
sind, bleibt das Geheimnis der US-amerikanischen Militärführung,
die, glaubt man den Berichten US- und lateinamerikanischer Medien
gerade dabei ist, sich auf eine neue Schlacht, diesmal gegen die
kolumbianische "Narcoguerilla" vorzubereiten. Die US-amerikanische
Militärhilfe für Kolumbien wurde vervierfacht, und die
Beratertätigkeit intensiviert. Seit Wochen warten mit High-Tech-Waffen
ausgestattete Spezialeinheiten auf ihren Einsatz in Kolumbien.
Auch unter Clintons Präsidentschaft wurde die enge Verflechtung
von militärischen und drogenpolitischen Zielsetzungen beibehalten.
Auch die Drogenpolitik von Clintons "Drogenzar" Barry
McCaffrey, einem Vier-Sterne-General und Kommandeur einer Elitedivision,
ist beherrscht vom Repressionsgedanken nach innen und von Aggressionsabsichten
nach aussen. Damit entfernt sich die US-amerikanische Drogenbekämpfungsstrategie
immer weiter von der in Europa wenn auch nur zögerlich verfolgten
Strategie einer akzeptierenden Drogenpolitik. Auch mit Clintons
Drogenbeauftragtem ist weder ein Nadelaustauschprogramm, noch die
medikalisierte Abgabe von Cannabis, wie sie in einigen US-Bundesstaaten
auf dem Wege von Volksabstimmungen erzwungen wurde, machbar und die medikalisierte Opiatabgabe, wie sie in der Schweiz erfolgreich
praktiziert und in der BRD geplant ist, schon gar nicht.
In keinem anderen Land der sogenannten westlichen Wertegemeinschaft
stehen - auf die Gesamtbevölkerung umgerechnet so viele
Menschen unter Kontrolle der Justiz- beziehungsweise des Strafvollzugssystems
wie in den USA. Die Gefängnisse quillen über. Erst kürzlich
hat die Clinton Regierung ein neues Programm zum Bau von Gefängnissen
allover the country auflegen müssen. Die Hälfte aller
Gefangenen sitzt wegen Drogendelikten. Aber auch in vielen westeuropäischen
Ländern droht das Justiz wie das Strafvollzugssystem
unter der Last von Betäubungsmitteldelikten zu kollabieren.
Auch hier ist die Hälfte der Haftplätze mit Delinquenten
belegt, die gegen das Betäubungsmittelgesetz verstossen haben.
Zu den Repressionskosten kommen die Gesundheitskosten, also der
Aufwand für Akutbehandlung, Therapie und Drogenprävention.
In volkswirtschaftlichen Modellrechnungen werden diesen Kosten dann
noch die durch Morbidität und Mortalität entstandenen
Kosten zugeschlagen. (Hierbei handelt es sich um Kosten, die von
Menschen im Erwerbsalter verursacht werden, die das Gesundheits-
und Sozialsystem beanspruchen ohne dafür eine entsprechende
Gegenleistung zu erbringen.) Hinzu kämen die ebenfalls schwer
bezifferbaren immateriellen sprich: sozialen Folgen
der Drogenprohibition: Die Zerstörung von Familien und Beziehungen,
die Zerstörung von Stadtteilen und die Korrumpierung des politischen
Systems. Auch die gesundheitlichen Folgen der Beschaffungsprostitution,
die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten und des HIV sowie des
Hepatitis Virus, wären der Gesamtrechnung zuzuschlagen. Alles
in allem dürften die jährlichen Kosten der Drogenprohibition
allein in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 10 und 13 Milliarden
Mark liegen.
Zwischen der Entwicklung des illegalen Drogenhandels, dem Ausbau
von Handelswegen und der Ausbreitung des HIV Virus besteht ein direkter
Zusammenhang, der jedoch in der internationalen Diskussion kaum
beachtet wird. Nach wie vor sind weltweit unsaubere Spritzen eine
der Hauptursachen für die Übertragung des HIV Virus. Je
mehr sich der intravenöse Drogenkonsum von Opiaten in die Produzenten-
und Transitländer verlagert, wo das Gesundheitssystem oft bereits
mit den Alltagserkrankungen überfordert ist, desto grösser
das Risiko von HIV-Infektionen.
Der volkswirtschaftliche beziehungsweise finanzwirtschaftliche
Schaden, den die im internationalen Finanzkreislauf zirkulierenden
illegalen Finanzströme verursachen, ist ebenfalls nur schwer
zu berechnen; nichts desto trotz aber ein realer Faktor, der Finanzfachleute
beunruhigt. Kriminologen schätzen den Gesamtumsatz des Organisierten
Verbrechens auf jährlich weit über eine Billion Dollar.
Legt man die Umsatzschätzungen der Vereinten Nationen von jährlich
400 Milliarden US$ zugrunde, dann zeigt sich, dass der Handel mit
Drogen noch immer den wichtigsten Einzelposten des Gesamtumsatzes
ausmacht. Im übrigen ist es widersinnig, die Beschleunigung
und Globalisierung des Austauschs von Waren, Personen und Dienstleistungen
mit aller Macht voranzutreiben und dabei so zu tun, als könne
man im Sonderfalle von Drogen diesen Beschleunigungsprozess abbremsen,
um Drogen aus dem allgemeinen Warenstrom herauszufiltern. (Natürlich
kommt es immer wieder zu Beschlagnahmen auch grosser Mengen, doch
aufgeklärte Drogenfahnder wissen und geben öffentlich
zu, dass sie nur einen Bruchteil von fünf bis zehn Prozent
aller zirkulierenden Drogen sicherstellen können.) Dennoch
versuchen die Autoren des jeweiligen Jahresberichtes der Vereinten
Nationen den Eindruck zu erwecken, es sei möglich, den Warenstrom
mit polizeilichen und militärischen Mitteln zu unterbinden,
wenn man nur entschlossen genug vorgeht und den Repressionsapparat
entsprechend ausbaut. Das ist eine Kriegspropagandalüge wie
auch das Versprechen mit Hilfe einer eigens geschaffenen "financial
task-force", die Geldwäsche verhindern oder mit Hilfe
einer "chemical task force" den Chemikalienstrom zur Herstellung
von Heroin oder Kokain unterbinden zu können.
Mit dem Internet hat sich ein weiterer nicht kontrollierbarer Marktplatz
etabliert, der von den Herstellern synthetischer Drogen bzw. den
Lieferanten von chemischen Ausgangsprodukten zur Herstellung synthetischer
Drogen bereits eifrig genutzt wird.
(Die mit teilweise hohem bürokratischen Aufwand verbundenen
kostenintensiven Bankenkontrollmassnahmen sind zwar durchaus nicht
wirkungslos und führen immer wieder zu empfindlichen Verlusten
und herben Imageschädigungen namhafter Banken. Die Erfahrungen
der vergangenen Jahre, in denen an fast allen Bankenplätzen
die Gesetze verschärft und die Kontrollen intensiviert wurden,
beweisen jedoch, dass das Drogenkapital auf die Verfeinerung der
Kontrollmechanismen noch immer mit einer Verfeinerung der Waschmethoden
zu antworten wusste. Die legalen Finanzströmen lassen sich
nur schwer von den illegalen trennen.
Das gilt auch für die Chemikalienströme kreuz und quer
über den Globus. Die chemischen Grundsubstanzen zur Herstellung
von Heroin und Kokain und neuerdings von Designerdrogen sind zugleich
Ausgangsstoffe für eine Vielzahl harmloser Zwischen- und Endprodukte
der chemischen Industrie und als solche unverzichtbar.
Ein radikaler Kurswechsel in der Drogenpolitik setzt die Bereitschaft
der politischen Klasse voraus, sich diesen globalen ökonomischen
Dimension des Drogenproblems zu stellen und das Prohibitionsdogma
in Frage zu stellen. Wer das zu tun bereit ist, muss auf Widerstand
gefasst sein. Denn nicht nur die unmittelbar in den Drogenhandel
verwickelten "Syndikate" auch Teile der politischen Klasse
sind an der Beibehaltung des status quo interessiert. Zu den Gewinnern
der Prohibition gehören auch jene Parteien und Organisationen,
die den Drogenmissbrauch mit populistischen Parolen dazu missbrauchen,
Bürgerrechte einzuschränken und Rechtsstaatsgarantien
abzubauen. (Und weil fast überall, was unbestreitbar ist, der
Endverbrauchermarkt von erkennbar Fremden beherrscht wird, nützen
sie die Chance, das sogenannte Ausländerproblem mit dem sogenannten
Drogenproblem demagogisch zu verknüpfen.)
Bleibt die Frage, ob eine Korrektur dieser auf ganzer Linie gescheiterten
internationalen Drogenpolitiküberhaupt möglich ist. Anders
gefragt: Werden die Staaten der Europäischen Union bereit sein
von sich aus, den Krieg gegen Drogen zu beenden, auch wenn sie damit
in einen konfliktträchtigen Widerspruch geraten zur US-amerikanischen
Drogenkriegsstrategie?
Ein politischer Wille, diesen überfälligen Kurswechsel
zu vollziehen, ist nicht zu erkennen. Auch nicht in der BRD, wo
sich die unter Drogenfachleuten verbreitete Hoffnung mit dem Regierungswechsel
werde der lang anhaltende drogenpolitische Stillstand endlich überwunden,
als trügerisch erweist. Zwar hat die neue Regierung angekündigt,
die medikalisierten Abgabe von Opiaten und die Einrichtung von Fixerräumen
nach dem Vorbild der Schweiz zuzulassen, doch nicht mit einem Satz
gehen die Koalitionsvereinbarungen auf den von den USA initiierten
und von der UN assistierten Krieg gegen Drogen ein.
Dabei steht die Drogenkriegsstrategie der Vereinten Nationen längst
in der internationalen Kritik. Erst vor kurzem hat eine illustre
Versammlung hochrangiger Politiker und prominenter Wissenschaftler
in einem offenen Brief den Generalsekretär der UN aufgefordert,
endlich die Drogenpolitik der Vereinten Nationen zu evaluieren.
Ihre Begründung: " Wir glauben, dass der Krieg gegen Drogen
mittlerweile mehr Schaden verursacht als der Drogenmissbrauch selbst."
Der offene Brief an Generalsekretär Kofi Annan macht
gestützt auf UN Quellen eine Rechnung auf, die das ganze
Desaster der internationalen Drogenpolitik offenbart: "Die
Organe der Vereinten Nationen schätzen den jährlichen
Umsatz der illegalen Drogenindustrien auf 400 Milliarden US$; das
entspricht in etwa acht Prozent des gesamten Welthandels. Diese
Industrie schafft mächtige kriminelle Organisationen, korrumpiert
Regierungen auf allen Ebenen, weicht die internationale Sicherheit
auf, stimuliert Gewalt und zerstört sowohl internationale Märkte
als auch moralische Werte. Dies sind nicht etwa die Konsequenzen
des Drogenkonsums per se, sondern einer jahrelangen verfehlten und
fruchtlosen Politik des war on drugs." Deshalb
ersuchen die Unterzeichner den Generalsekretär der UN, "eine
offene und ehrliche Evaluation von globalen Drogenkontrollmassnahmen
anzuregen."
Wer einen Kurswechsel will, muss in der Tat an einer Evaluation
der globalen Drogenkontrollmassnahmen interessiert sein, um unter
Zugrundelegung einer realistischen Kosten-Nutzen-Analyse die verschiedenen
Optionen zur Entschärfung des Problems aufzeigen und öffentlich
zur Diskussion stellen zu können. Innerhalb der politischen
Klasse findet diese Diskussion nicht statt, mag der Ruf von aussen
nach einem Neubeginn auch immer lauter werden. Auch die rot-grüne
Bundesregierung ist an dieser Diskussion nicht interessiert. Deshalb
wäre es vermessen darauf zu bauen, die neue Bundesregierung
werde sich von der US-amerikanischen Drogenkriegsstrategie distanzieren,
um eine Entmilitarisierung der internationalen Drogenpolitik einzuleiten.
Im Gegenteil: Die Teilnahme der Bundeswehr am Angriffskrieg gegen
Jugoslawien und Äusserungen im Regierungslager über die
zukünftige Rolle der Armee als Instrument der Aussenpolitik
lassen erwarten, dass die Drogenfrage zukünftig wie
in den USA übergeordneten aussenpolitischen Interessen
untergeordnet wird.
Der Krieg im Kosovo ist ein Exempel für diese Strategie. Obwohl
die UCK von den Geheimdienste der NATO-Staaten schon lange vor Kriegsbeginn
als eine der Schaltstellen des europäischen Drogenhandels ausgemacht
worden war und als "terroristische Vereinigung" eingeordnet
wurde, haben Geheimdienste eben jener NATO-Staaten, darunter auch
der der BRD, die Kriegführung der UCK gegen die jugoslawische
Zentralregierung angeleitet. Nun, nach dem Krieg, warnt der UN -Sonderberichterstatter
für Menschenrechte, Jiri Dienstbier, vor der Bildung "krimineller
Strukturen" im Kosovo. Das derzeit grösste Problem seien
nicht "die Brandstiftungen in einzelnen Häusern, sondern
die Entwicklung organisierter, terroristischer, krimineller Strukturen".
(Pristina, DPA, 13. Juli 1999). Diese Begünstigung einer kriminellen
Organisation birgt - langfristig gesehen - ein hohes Risiko. Im
Kosovo könnte sich wiederholen, was sich vor mehr als 50 Jahren
bei der Eroberung und Befreiung Siziliens zugetragen hatte. Damals
hatten die US-Streitkräfte beziehungsweise der US-amerikanische
Geheimdienst die New Yorker Mafia in die Planung ihrer Landungsoperation
einbezogen. Es war ein Geschäft auf Gegenseitigkeit, dem die
Mafia ihre bis heute in Italien ungebrochene Machtstellung verdankt.
Auch die Kooperation des US-amerikanischen Geheimdienstes mit der
Aufstandsbewegung in Afghanistan lief nach diesem Muster ab. Unter
Protest der DEA leistete die CIA Waffenhilfe an die Aufständischen,
obwohl die längst als Opiumproduzenten im Visier der Drogenfahnder
waren. Mit US Hilfe an die Macht gelangt, hat die Taliban, neuesten
Berichten der UN zufolge, die Anbaufläche für Opium verdoppelt.
Ich kann nicht ausschliessen, dass einigen von Ihnen meine Kriegsbilanz
zu politisch geraten ist. Wundern würde mich das nicht. Denn
auch das gehört zur Bilanz des "war on drugs": Auch
die Helferszene, wie ich die hier versammelten Berufsgruppen einmal
salopp bezeichnen will, hat sich mit den Kriegsbedingungen ihrer
Arbeit stillschweigend abgefunden und damit die Entpolitisierung
eines hoch - politischen sozialen Problems bereitwillig akzeptiert.
Aber machen wir uns nichts vor: Auch wir sind sozusagen als Zivildienstleistende
Teilnehmer am "war on drugs".
Günter Amendt - Vortrag auf dem Kongress "Neue Wege der
europäischen Drogenpolitik und Suchtforschung". Hamburg
15. 9.1999.
Dank an Günter Amendt.
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