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Claus Sterneck / Claus in Iceland
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Wolfgang Sterneck
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Bertha von Suttner:
 
DIE WAFFEN NIEDER!
 
- Auszug II -
 
 «Wie kann man einen Dichter mit einem Feldherrn nur vergleichen!» rief mein Vater. «Das frage ich auch. Der unblutige Lorbeer ist weitaus der schönere.» «Aber, lieber Baron,» sagte nun meine Tante, so habe ich noch keinen Soldaten sprechen hören. Wo bleibt da die Kampfbegeisterung, wo das kriegerische Feuer?»
 
«Das sind mir keine unbekannten Gefühle, meine Gnädige. Von solchen beseelt, bin ich als neunzehnjähriger Junge zum erstenmal zu Feld gezogen. Als ich aber die Wirklichkeit des Gemetzels gesehen, nachdem ich Zeuge der dabei entfesselten Bestialität gewesen, da war es mit meinem Enthusiasmus vorbei, und in die nachfolgenden Schlachten ging ich schon nicht mehr mit Lust, sondern mit Ergebung.»
 
«Hören Sie, Tilling, ich habe mehr Campagnen mitgemacht als Sie und auch Schauderscenen genug gesehen, aber mich hat der Eifer nicht verlassen. Als ich im Jahre 49 schon als ältlicher Mann mit Radetzky marschierte, war's mit demselben Jubel wie das erste Mal.»
 
«Entschuldigen Sie, Excellenz - aber Sie gehören einer älteren Generation an, einer Generation, in welcher der kriegerische Geist noch viel lebendiger war, als in der unseren, und in welcher das Weltmitleid, welches nach Abschaffung alles Elends begehrt, und das jetzt in immer größere Kreise dringt, noch sehr unbekannt war.»
 
«Was hilft's? Elend muß es immer geben - das läßt sich nicht abschaffen, ebensowenig wie der Krieg.» ...
 
«Sehen Sie, Graf Althaus, mit diesen Worten kennzeichnen Sie den einstigen, jetzt schon sehr erschütterten Standpunkt, auf welchem sich die Vergangenheit allen sozialen Übeln gegenüber verhielt, nämlich den Standpunkt der Resignation, mit der man das Unvermeidliche, das Naturnotwendige betrachtet. Wenn aber einmal beim Anblick eines großen Elends die zweifelnde Frage «Mußte es sein?» ins Herz gedrungen, so kann das Herz nicht mehr kalt bleiben, und es steigt neben dem Mitleid zugleich eine Art Reue auf - keine persönliche Reue, sondern - wie soll ich sagen? - ein Vorwurf des Zeitgewissens.»
 
Mein Vater zuckte die Achseln. «Das ist mir zu hoch,» sagte er. «Ich kann Sie nur versichern, daß nicht nur wir Großväter mit Stolz und Freude auf die durchgemachten Feldzüge zurückdenken, sondern daß auch die meisten von den Jungen und Jüngsten, wenn befragt, ob sie gern in den Krieg zügen, lebhaft antworten würden: Ja gern - sehr gern.»
 
«Die Jüngsten - gewiß. Die haben noch den in der Schule eingepflanzten Enthusiasmus im Herzen. Und von den anderen antworteten viele dieses «Gern», weil dasselbe nach allgemeinen Begriffen als männlich und tapfer erscheint, das aufrichtige «Nicht gern» aber gar zu leicht als Furcht gedeutet werden könnte.»
 
«Ach,» sagte Lilli mit einem kleinen Schauder, «ich würde mich auch fürchten ... Das muß ja entsetzlich sein, wenn so von allen Seiten die Kugeln fliegen, wenn jeden Augenblick der Tod droht»
 
«So etwas klingt aus Ihrem Mädchenmunde ganz natürlich,» entgegnete Tilling, «aber wir müssen den Selbsterhaltungstrieb verleugnen ... Soldaten müssen auch das Mitleid, den Mitschmerz für den auf Freund und Feind hereinbrechenden Riesenjammer verleugnen, denn nächst der Furcht wird uns jede Sentimentalität, jede Rührseligkeit am meisten verübelt.»
 
«Nur im Krieg, lieber Tilling,» sagte mein Vater, «nur im Krieg; im Privatleben haben wir, Gott sei Dank, auch weiche Herzen.»
 
«Ja, ich weiß: das ist so eine Art Verzauberung. Nach der Kriegserklärung heißt es plötzlich von allen Schrecknissen: «Es gilt nicht». Kinder lassen manchmal diese Konvention in ihren Spielen walten. «Wenn ich dies oder jenes thue, so gilt es nicht,» hört man sie sagen. Und im Kriegsspiel herrschen auch solche unausgesprochene Übereinkommen; Totschlag gilt nicht mehr als Totschlag; Raub ist nicht Raub - sondern Requisition; brennende Dörfer stellen keine Brandunglücke, sondern «genommene Positionen» vor. Von allen Satzungen des Gesetzbuches, des Katechismus, der Sittlichkeit heißt es da - solange die Partie dauert - «Es gilt nicht. Wenn aber manchmal der Spieleifer nachläßt, wenn das verabredete «Gilt nicht» für einen Moment aus dem Bewusstsein schwindet, und man die umgebenden Scenen in ihrer Wirklichkeit erfaßt und dies abgrundtiefe Unglück, das Massenverbrechen als geltend begreift, da wollte man nur noch eins, um sich aus dem unerträglichen Weh dieser Einsicht zu retten: - tot sein.»
 
«Eigentlich, es ist wahr,» bemerkte Tante Marie nachdenklich, «Sätze wie: Du sollst nicht töten - sollst nicht stehlen - liebe deinen Nächsten wie dich selbst - verzeihe deinen Feinden.»
 
«Gilt nicht,» wiederholte Tilling. «Und diejenigen, deren Beruf es wäre, diese Sätze zu lehren, sind die ersten, welche unsere Waffen segnen und des Himmels Segen auf unsere Schlachtarbeit herabflehen.»
 
«Und mit Recht,» sagte mein Vater. «Schon der Gott der Bibel war der Gott der Schlachten, der Herr der Heerschaaren ... Er ist es, der uns befiehlt, das Schwert zu führen, er ist es.»
 
«Als dessen Willen die Menschen immer dasjenige dekretieren,» unterbrach Tilling, «was sie gethan sehen wollen - und dem sie zumuten, ewige Gesetze der Liebe erlassen zu haben, welche er, - wenn die Kinder das große Haßspiel aufführen -, durch göttliches «Gilt nicht» aufhebt. Genau so roh, genau so inkonsequent, genau so kindisch wie der Mensch, ist der jeweilig von ihm dargestellte Gott. »
 
«Und jetzt, Gräfin,» fügte er hinzu, indem er aufstand, «verzeihen Sie mir, daß ich eine so unerquickliche Diskussion heraufbeschworen und lassen Sie mich Abschied nehmen.»
 
 
Auszug aus
Bertha von Suttner (1843-1914): Die Waffen nieder! (1889)
 
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder! I
Bertha von Suttner: Die Waffen nieder! II
Bertha von Suttner: Kriegsspiele
 
„Die Waffen nieder!“ auf Wikipedia



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