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Wolfgang Sterneck
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Erich Mühsam:
- In der Zelle
- Herbstmorgen im Kerker
----------------
 
In der Zelle
 
Scheu glitt ein Tag vorbei - wie gestern heut.
Ein leerer rascher Tropfen sank ins Jahr.
Und wenn sich aus der Nacht geballtem Nichts
der letzte Schatten in den Morgen streut -
du freust dich kaum am kalten Kuß des Lichts.
Und morgen wird es sein, wie's heut und gestern war.
 
Gefängnis: Leben ohne Gegenwart,
ganz ausgefüllt von der Vergangenheit
und von der Hoffnung ihrer Wiederkehr.
Du fragst nicht, ob du weich ruhst oder hart,
ob deine Schüssel voll ist oder leer.
Betrogen um den Augenblick verrinnt die Zeit.
 
Du wirst nicht älter und du bleibst nicht jung.
Gewöhnung weckt dich, bettet dich zur Ruh.
Dein Fragewort heißt niemals: Wie? - Nur: Wann?
Doch Wann ist Zukunft, Wann ist Forderung.
Weh dir, wenn dich Gewöhnung töten kann.
Verlern das Warten nicht. Bleib immer Du! Bleib Du!
 
-------------- 

 Herbstmorgen im Kerker
 
Wenn morgens über Gras und Moor
sich weißlich-trüb der Nebel bauscht,
unfroher Wind mit müdem Stoß
im dürren Laub des Herbstes rauscht;
 
wenn eiterig der fahle Tau
von welken Blütenresten tränt,
des Äthers dichtverquollenes Grau
dem neuen Tag entgegengähnt -
 
und du, gefangen Jahr um Jahr,
gräbst deinen Blick in Dunst und Nichts:
da wühlt die Hand dir wohl im Haar,
und hinter deinen Augen sticht's.
 
Du starrst und suchst gedankenleer
nach etwas, was du einst gedacht,
bis endlich, wie aus Fernen, schwer
das Wissen um dein Selbst erwacht.
 
Du musterst kalt das Eisennetz,
das dich in deinen Kerker bannt;
in dir erhebt sich das Gesetz,
zu dem dein Wille sich ermannt:
 
Treu sein dem Werk und treu der Pflicht,
der Liebe treu, die nach dir bangt;
treu sein dir selbst, ob Nacht - ob Licht,
dem Leben treu, das dich verlangt! ...
 
Aus jedem Morgen wird ein Tag,
und wie die Sonne einmal doch
durch Dunst und Schleier drängen mag,
so bleibt auch dir die Hoffnung noch. -
 
Im Nebel dort schläft Zukunftsland.
Du drehst den Kopf zurück und blickst
an der gekalkten Zellenwand
zu deines Weibes Bild. Und nickst.
 
 
 Erich Mühsam (1878-1934, ermordet im KZ Oranienburg).
- Appell an den Geist
- Lumpenlied
- Im Kerker
- Voller Sterne
- Erich-Mühsam-Gesellschaft Lübeck
- Erich Mühsam - Leben und Werk

 

 

 




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