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Wolfgang Sterneck
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Gottfried Keller / Träume von einem Traum:
- Unruhe der Nacht
- Unter Sternen


UNRUHE DER NACHT

Nun bin ich untreu worden
Der Sonn' und ihrem Schein;
Die Nacht, die Nacht soll Dame
Nun meines Herzens sein!

Sie ist von düst'rer Schönheit,
Hat bleiches Nornengesicht,
Und eine Sternenkrone
Ihr dunkles Haupt umflicht.

Heut ist sie so beklommen,
Unruhig und voller Pein;
Sie denkt wohl an ihre Jugend –
Das muß ein Gedächtnis sein!

Es weht durch alle Thäler
Ein Stöhnen, so klagend und bang;
Wie Thränenbäche fließen
Die Quellen vom Bergeshang.

Die schwarzen Fichten sausen
Und wiegen sich her und hin,
Und über die wilde Haide
Verlorene Lichter flieh'n.

Dem Himmel bringt ein Ständchen
Das dumpf aufrauschende Meer,
Und über mir zieht ein Gewitter
Mit klingendem Spiele daher.

Es will vielleicht betäuben
Die Nacht den uralten Schmerz?
Und an noch ältere Sünden
Denkt wohl ihr reuiges Herz?

Ich möchte mit ihr plaudern,
Wie man mit dem Liebchen spricht –
Umsonst, in ihrem Grame
Sie sieht und hört mich nicht!

Ich möchte sie gern befragen
Und werde doch immer gestört,
Ob sie vor meiner Geburt schon
Wo meinen Namen gehört?

Sie ist eine alte Sibylle
Und kennt sich selber kaum;
Sie und der Tod und wir Alle
Sind Träume von einem Traum.

Ich will mich schlafen legen,
Der Morgenwind schon zieht –
Ihr Trauerweiden am Kirchhof,
Summt mir mein Schlummerlied!

----

UNTER STERNEN

Wende dich, du kleiner Stern,
Erde! wo ich lebe,
Daß mein Aug', der Sonne fern,
Sternenwärts sich hebe!

Heilig ist die Sternenzeit,
Oeffnet alle Grüfte;
Strahlende Unsterblichkeit
Wandelt durch die Lüfte.

Mag die Sonne nun bislang
Andern Zonen scheinen,
Hier fühl' ich Zusammenhang
Mit dem All' und Einen!

Hohe Lust, im dunklen Thal,
Selber ungesehen,
Durch den majestät'schen Saal
Atmend mitzugehen!

Schwinge dich, o grünes Rund,
In die Morgenröte!
Scheidend rückwärts singt mein Mund
Jubelnde Gebete!


Gottfried Keller (1819-1890):
Lebendig begraben
Das Hexenkind
Träume von einem Traum
Gottfried Keller / Der grüne Heinrich



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