Wolfgang Sterneck:
DER SIEG DER REBEL-CLOWNS ÜBER DIE ROBOCOPS
- DER G8-GIPFEL UND DIE ANDERE WELT -
- Das tägliche Morden
- Die andere Welt der Camps
- Das System der Kontrolle
- Der blockierte Gipfel
Nach einem kurzen Plenum setzen sich einige Rebel-Clowns direkt
vor einem Wasserwerfer auf die Wiese, öffnen einen Sonnenschirm
und breiten ein Picknick aus. Wie abgesprochen, versucht kurz danach
eine Gruppe an einer anderen Stelle die Polizeiabsperrungen zu durchbrechen.
Die Clowns und mit ihnen dutzende weitere AktivistInnen nutzen die
Verwirrung bei den Polizeikräften, stürmen die Straße,
lassen sich nieder und beginnen mit der Blockade des G8-Gipfels
in Heiligendamm ...
DAS TÄGLICHE MORDEN
Täglich sterben zehntausende Menschen an Hunger, obwohl es
genügend Ressourcen gibt, um alle ausreichend ernähren
zu können. Gleichzeitig rückt eine ökologische Katastrophe
immer näher, deren Ausmaß kaum abzuschätzen ist.
Im Grunde genügen diese beiden kurzen Feststellungen, um den
zerstörenden Charakter der vorherrschenden neoliberalen Weltordnung
aufzuzeigen. Eine Ordnung, deren höchstes Ziel in der Erwirtschaftung
von Profit liegt, während Mensch und Natur über das Prinzip
der Verwertbarkeit definiert werden. Vor diesem Hintergrund sind
Absichtserklärungen zur Armutsbekämpfung und zum Klimaschutz
nicht viel mehr als ein Teil der medialen Verschleierung, die an
den grundlegenden Verhältnissen nichts ändern, sondern
sie letztlich nur bestärken sollen.
Gegen diese strukturelle Gewalt der neoliberalen Globalisierung
gingen anlässlich des G8-Treffens der einflussreichsten Industrienationen
in Heiligenddamm zehntausende Menschen unter dem Motto "Eine
andere Welt ist möglich" auf die Straße. Nachhaltig
drückten sie ihre Kritik in vielfältigen Aktionsformen
aus, wobei ideeller Protest und aktiver Widerstand fließend
ineinander übergingen. Die Basis bildete in vielen Fällen
die Erkenntnis, dass Reformen nicht ausreichen, sondern es einer
Veränderung bedarf, die an den politischen und sozialen Wurzeln
ansetzt. Gleichzeitig zeigte sich insbesondere in den Zeltcamps
der GlobalisierungskritikerInnen, dass die andere Welt zumindest
ansatzweise schon in der Gegenwart erfahrbar ist.
DIE ANDERE WELT DER CAMPS
In drei großen Camps lebten jeweils mehrere tausend GlobalisierungskritikerInnen
rund eine Woche lang zusammen. Organisiert waren die Zeltdörfer
betont basisdemokratisch ohne hierarchische Strukturen. Entscheidungen,
die das gesamte Camp betrafen, wurden in den offenen Plena auf der
Grundlage des Konsensprinzips getroffen. Zudem bildeten zahlreiche
Gruppen und Projekte wiederum vergleichbar aufgebaute kleine Einheiten,
die sogenannten Barrios. Die egalitären Strukturen führten
in einigen Fällen zu eher zähen Entscheidungsprozessen,
ermöglichten insgesamt jedoch eine große Transparenz
und die potentielle Einbeziehung aller Camp-BewohnerInnen.
Niemand erhielt in den Camps für die geleistete Arbeit einen
finanziellen Lohn. Aufgaben, wie die vielfältige Organisation
im Vorfeld, genauso wie zum Beispiel das Kochen in den Volxküchen
oder die Besetzung der diversen Infopoints, wurden freiwillig übernommen.
Viele Barrios boten zudem zahlreiche betont unkommerzielle Veranstaltungen
an, die von Filmen und Vorträgen bis zu Partys und Konzerten
reichten. Auch die immensen finanziellen Mittel, die für die
Infrastruktur der Camps nötig waren, wurden auf freiwilliger
Basis aufgebracht. All diese Elemente führten trotz der üblichen
Probleme in Detail nicht zu Chaos und Egotrips, wie es so oft unterstellt
wird. Vielmehr eröffneten sie soziale Freiräume, die von
vielfältiger Lebendigkeit und gemeinschaftlicher Solidarität
geprägt waren.
DAS SYSTEM DER KONTROLLE
Während des G8-Gipfels verkörperten Heiligendamm und
das anliegende Rostock den modernen Polizeistaat. Offiziell waren
rund 16.000 PolizistInnen im Einsatz, die von Sondereinsatzkräften
und der Bundeswehr unterstützt wurden. 13 Millionen Euro
kostete der symbolhafte Absperrungszaun, der um den Tagungsort gezogen
wurde. Weitere Millionen Euro verschlangen die Überwachungsmaßnahmen,
die schon lange vor dem G8-Gipfel mit verschärften Überwachungs-
und Einschüchterungsmaßnahmen bis hin zu Geruchsproben
einsetzten.
In mehreren großflächigen Bannzonen waren Kundgebungen
generell verboten, während genehmigte Demonstrationen zum Teil
von Wasserwerfern gestoppt und eingekesselt wurden. Unablässig
kam es zu Taschen- und Personenkontrollen, wobei schon ein schwarzer
Kapuzenpulli und ein Halstuch zu einer „Ingewahrsamnahme“
führen konnte. Schlagstock- und Tränengaseinsätze
auch gegenüber betont friedlichen Demo-TeilnehmerInnen gehörten
zur Normalität. Gleichzeitig musste die Polizeiführung
nach einer Enttarnung eingestehen, dass sie Zivilbeamte in Blockaden
eingeschleust hatte, die vergeblich versuchten zu Gewalttaten anzustiften.
In Rostock waren phasenweise ganze Stadtteile abgesperrt und die
Zugverbindungen zu den Camps gekappt. Unablässig kreisten Tag
und Nacht Polizeihubschrauber über die Stadt. Auf dem Weg zu
den Blockaden waren es dann auch große Bundeswehr-Helicopter,
die zur Einschüchterung nur wenige Meter über die Köpfe
der DemonstrantInnen hinweg flogen.
DER BLOCKIERTE GIPFEL
Durch die Blockaden von drei Zugangsstraßen und der Bahnverbindung
gelang es den G8-Gipfel zumindest auf dem Landweg über lange
Phasen vollständig abzuschließen. Auf dem Weg zu den
Blockadepunkten zogen mehrere tausend Menschen von zentralen Treffpunkten
ausgehend durch kleine Dörfer und Kornfelder. Ihnen gegenüber
standen an mehreren Zufahrtsstraßen zum Teil mehrere Polizei-Hundertschaften
mit entsprechenden Einsatzfahrzeugen und Wasserwerfern. Während
die Polizeileitung verkündete, dass die Aufmärsche verboten
seien und teilweise versuchten diese mit Gewalteinsatz aufzulösen,
spalteten sich die Demonstrationszüge jeweils in kleinere Züge
und verteilten sich.
Diese Taktik führte dazu, dass die Polizeisperren auseinander
gezogen wurden und Polizeitrupps in einigen Fällen völlig
orientierungslos mitten im Feld standen und auf neue Befehle warteten.
Mit etwas Abstand zogen die DemonstrantInnen dann an ihnen vorbei.
Kurz vor den nächsten Polizeiabsperrungen teilten sich auch
die verkleinerten Demozüge wieder auf, täuschten an einer
Stelle einen Vorstoß an, um dann an anderer Stelle die entstandenen
Lücken auszunutzen und die Polizeiketten zu durchbrechen. Die
Absprachen wurden zumeist in kurzfristig einberufenen DeligiertInnentreffen
innerhalb der Demozüge selbst getroffen.
Diese Strategie ermöglichte es letztlich mehreren Tausend Menschen
in die „verbotene Zone“ einzudringen und die Zufahrtsstraßen
zu blockieren. Die flexiblen, auf gemeinschaftlichen Entscheidungen
basierenden Strukturen des zivilen Ungehorsams triumphierten dabei
trotz Schlagstock- und Wasserwerfereinsatz über die Befehlsstrukturen
der hochgerüsteten Polizeikräfte.
Dass es der globalisierungskritischen Bewegung in dieser Stärke
gelang, die scheinbar so übermächtige Kontrollmaschinerie
zu überwinden, macht die symbolische Kraft der Blockaden aus.
Letztlich entsprachen sie einer Konfrontation zwischen zwei völlig
unterschiedlichen Organisationsprinzipien bzw. Lebensauffassungen.
Auf der einen Seite standen die Polizei- und Sondereinsatzkräfte,
die in ihren Kampfanzügen an die ferngesteuerten Robocops aus
Science-Fiction-Filmen erinnerten. Ihnen gegenüber befand sich
eine bunte Vielfalt von Menschen und Gruppen, vereint durch die
gemeinschaftliche Vision einer anderen Welt, die in den Tagen von
Heiligendamm in den Camps und Blockaden zur Realität wurde.
Wolfgang Sterneck, Juni 2007.
Berichte zum G8 und den Protesten: indymedia.org
www.sterneck.net
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