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Wolfgang Sterneck:
DIE LUST AUF VERÄNDERUNG
- Konsequente Musik und die Welt hinter den Fassaden -
- Wege fernab der Charts
- Spiegelbilder und Visionen
- Party-Politics
- Subversive Rhythmen
- Kreative Spielplätze
- Die Politik der Geräusche
- Gesteuerte Träume
- Der gekaufte Elvis
- Rebellion und Vereinnahmung
- Die Welt hinter den Fassaden
Manchmal sind es symbolhaft die tanzenden Sterne, dann steht wieder
die unverschleierte Beschreibung sozialer Konflikte im Mittelpunkt
oder auch die Suche nach neuen eigenständigen Ausdrucksformen.
Fernab von Hitparaden und TV-Shows kommt in unzähligen Musikstücken
eines konsequent engagierten Undergrounds beständig der Traum
eines Lebens zum Ausdruck, das auf Werten wie Selbstbestimmung und
Gemeinschaftlichkeit, sowie nicht zuletzt auf lustvoller, kreativer
Entfaltung basiert. Die Rhythmen wie auch die Texte der einzelnen
Musikströmungen unterscheiden sich dabei oftmals in ihrer Form,
in ihren grundlegenden Inhalten und Botschaften gleichen sie sich
jedoch.
So lassen sich trotz aller musikalischen Abgrenzungen im Underground
der Techno-Kultur zumindest ähnliche Ideale finden wie in der
systemkritischen Ausprägung des Hardcore-Punk oder bei den
gegenkulturellen Bands der Hippie-Kultur. Ihnen allen ging und geht
es um soziale Freiräume, die nicht länger von einer Konsum-
und Konkurrenzmentalität bestimmt sind. Konsequent genutzt
wird die Musik dabei zu einem Medium, welches dazu beiträgt,
entsprechende Ideale inhaltlich weiterzutragen bzw. die damit verbundenen
Empfindungen anzusprechen und auszudrücken.
WEGE FERNAB DER CHARTS
Das verbindende Merkmal dieser MusikerInnen bzw. einer
entsprechend "Konsequenten Musik" ist im Gegensatz zu
den herkömmlichen Einteilungen nicht die stilistische Form,
sondern die idealistische inhaltliche Ausrichtung. Das Selbstverständnis
zeigt sich nicht nur in der Musik und den Texten, sondern kommt
beispielsweise auch in der Wahl der Auftrittsorte und der konkreten
Zusammenarbeit mit sozialen Projekten, sowie in einigen Fällen
auch im Aufbau von unabhängigen Vertriebsnetzen zum Ausdruck.
Teilweise werden Starkult und kommerzielle Strukturen strikt abgelehnt
und ihnen das Prinzip des "Do It Yourself" gegenüber
gestellt. Im Unterschied zu den zahlreichen Popstars, die sich aus
Gründen der Promotion mit einem wohltätigen Image schmücken,
ist es ein Merkmal entsprechender Musikgruppen, dass sie vielfach
aus den Bewegungen, die sie unterstützen, selbst hervorgegangen
bzw. in ihnen aktiv tätig sind.
Crass gehörte zweifellos zu den Bands die einem derartigen
Weg besonders nachhaltig gefolgt sind. Ihre Wurzeln hatte die Gruppe
in der Punk-Bewegung am Ende der siebziger Jahre, die zeitweise
gleichermaßen ein Gefühl der Perspektivlosigkeit wie
auch der Rebellion verkörperte, dann aber schnell von der Musikindustrie
vereinnahmt wurde. Crass gründeten dagegen ein eigenes Label
um völlig unabhängig zu sein und vertrieben ihre Aufnahmen
weitgehend auf No-Profit-Basis. Die auffaltbaren, großformatigen
Schallplattencover entsprachen Flugblättern bzw. Plakaten mit
klaren politischen Aussagen. Mit dem an die damalige englische Premierministerin
gerichteten Stück "How does it feel to be the mother of
a thousand dead" wurde Crass zur herausragenden Stimme der
Bewegung gegen den Falkland-Krieg und löste eine innenpolitische
Kontroverse über dem Umgang mit derartigen "Vaterlandsverrätern"
aus. Die Bandmitglieder selbst lebten kommuneartig zusammen und
waren am Aufbau von alternativen Kulturzentren beteiligt, um auch
auf dieser Ebene ihre Ideale über die theoretische Beschreibung
hinausgehend in die gelebte Praxis zu übertragen.
In den Ländern des ”realen Sozialismus” versuchte
der Staatsapparat alle kulturellen Bereiche zu kontrollieren. So
erhielten nur MusikerInnen, die sich den ideologischen Vorgaben
unterordneten eine Erlaubnis für Auftritte oder zur Veröffentlichung
von Schallplatten. Bands wie die Plastic People of the Universe
verkörperten dagegen eine nonkonforme Lebensauffassung, die
sich beständig auf den unterschiedlichsten Ebenen dem Zwang
zur Anpassung widersetzte. ”Wenn heute jemand zwanzig ist,
dann wird er mit Widerwillen kotzen. Denen die vierzig sind, kommt
es noch viel stärker. Nur die mit sechzig Jahren haben es einfacher,
friedvoll schlafen sie mit ihrer Sklerose.” Zeitweise wurden
die Plastic People in den staatlich gesteuerten Medien als asozial
diffamiert, mehrfach wurde darüber hinaus gegen die Band repressiv
vorgegangen, um Auftritte zu verhindern. Es konnte jedoch nicht
verhindert werden, dass sie zu einem Symbol der Opposition und langfristig
zu einem kulturellen Wegbereiter des gesellschaftlichen Wandels
wurde.
Bis in die Gegenwart stehen The Ex für die Integration unterschiedlicher
musikalischer Strömungen in ein Musikkonzept, das eigenwillig
Elemente des Punk mit avantgardistischen Ansätzen verknüpft.
Zu den Veröffentlichungen gehören Kooperationen mit MusikerInnen
aus dem Rock- und Jazz-Bereich genauso wie beispielsweise auch mit
einer kurdischen Folkloregruppe. ”Das Image, das die verschiedenen
Projekte haben, ist teilweise völlig unterschiedlich. Wer aber
genauer hinschaut, der sieht viele Übereinstimmungen in unseren
Ideen.” Zu den herausragenden Veröffentlichungen gehört
ein Projekt zur spanischen Revolution, das aus Musikaufnahmen und
einem Buch mit dokumentarischen Fotoaufnahmen besteht. Zum Selbstverständnis
der Band gehört die Überzeugung, dass jede kulturelle
Ausdrucksweise einen politischen Charakter hat. Ein Stück über
eine Liebesbeziehung kann dabei genauso politisch sein wie ein antifaschistischer
Song. Ein entscheidender Aspekt ist die Frage, ob durch die Ausdrucksform
bzw. durch die vermittelten Inhalte von den tatsächlich bestehenden
Problemen abgelenkt oder eine Veränderung angeregt wird.
SPIEGELBILDER UND VISIONEN
Soziale Bewegungen finden fast zwangsläufig immer
auch einen musikalischen Ausdruck. Als die Frauenbewegung in den
siebziger Jahren zunehmend an Stärke gewann, spiegelte sich
dies auch in der Musik. Feministische Liedermacherinnen wie Alex
Dobkin oder in der BRD die Rockband Flying Lesbians waren Leitfiguren
eines neuen Selbstverständnisses. Teilweise wurden bereits
bestehende stilistische Ausdrucksformen mit neuen Inhalten verknüpft,
während an anderer Stelle versucht wurde über die Improvisation
oder die Einbeziehung von Performance-Elementen den Inhalten auch
eine entsprechend veränderte Form zu geben. Die Riot-Grrrl-Bewegung
knüpfte rund zwanzig Jahre später mit einem neuen betont
eigenwilligen Selbstbewusstsein an feministischen Überzeugungen
an. Im Zentrum der Musikprojekte, die sich der Queer-Culture zurechnen
lassen, stand später die konsequente Hinterfragung und der
spielerische Umgang mit den sozialen Konstrukten geschlechtlicher
Identitäten.
Naheliegender Weise werden inhaltliche Aussagen zumeist über
entsprechende Texte vermittelt. Daneben ist es aber auch möglich
über die musikalische Form eine Haltung oder ein Lebensgefühl
auszudrücken. So reflektierte in den sechziger Jahren der Free
Jazz mit seinem Ausbruch aus den vorgegebenen musikalischen Konventionen
die politische Aufbruchstimmung der afro-amerikanischen Bevölkerung
ohne mit Texten zu arbeiten. Letztlich ist auch in einem politischen
Zusammenhang nicht entscheidend, ob ein Stück von traditionellen
musikalischen Ausdrucksformen ausgeht, auf neuen Aufbauschemen oder
einem veränderten Verständnis von Musik und Kultur basiert.
Wesentlich ist vielmehr der persönliche und soziale Kontext
in dem das entsprechende Stück steht.
Ein Song, der in die Beine geht und so Energien und Lebensfreude
frei setzt, kann genauso eine aufbrechende Bedeutung erhalten wie
ein Stück, das sich über seinen Aufbau völlig gängigen
Hörgewohnheiten und auch Vermarktungsmechanismen verweigert,
um dadurch bestehende gesellschaftliche Strukturen zu kritisieren.
Die eingängigen Songs von Chumbawamba mit ihren klaren Botschaften
stehen in diesem Sinne neben den düsteren Schrei-Gesängen
von Diamanda Galas, die dadurch die weitverbreitete Ignoranz gegenüber
den Opfern der AIDS-Epidemie anprangerte, oder den roh und aggressiv
anmutenden Auftritten von Missing Foundation, die von einer Haltung
des Widerstand durchzogen waren.
Die Mitglieder von Projekten wie The Fire This Time und Entartete
Kunst sind zum Teil gleichermaßen als MusikerInnen, DJs und
LabelkoordinatorInnen tätig. Ihrem eigenen Selbstverständnis
zufolge sind sie jedoch vor allem politische AktivistInnen, die
ihre Veröffentlichungen als akustische Flugblätter verstehen
und zum Teil kostenlos zum Download im Internet bereitstellen. Musikalische
Bezugpunkte der Projekte sind der Dub bzw. der HipHop, gemeinsam
ist ihnen dabei, dass sie gezielt Samples mit Zitaten aus Reden
und Interviews einsetzen. Entsprechend wirkte Entartete Kunst an
der Veröffentlichung einer Schallplatte mit, auf der sich prägnante
gesellschaftskritische Zitate von Persönlichkeiten wie Assata
Shakur und Noam Chomsky befinden, die von DJs in ihre Sets integriert
werden können.
Weiterentwicklungen im Bereich der Aufnahme- und Wiedergabetechnik
hatten im Kontext konsequenter Musik immer auch eine politische
Komponente. So eröffnete die Entwicklung bzw. massenhafte Verfügbarkeit
der bespielbaren Musikkassetten in den achtziger Jahren neue Möglichkeiten
einer selbständigen Aufnahme, Vervielfältigung und Verbreitung
von Musik. Davon ausgehend wurde die Kassette zum Medium gegenkultureller
Strömungen, die sich den Vorgaben der Musikindustrie bzw. den
Auflagen staatlicher Gremien widersetzte. Im Westen entwickelten
sich vielfältige Undergroundszenen, die gezielt mit Kassettenveröffentlichungen
in kleinen Auflagen arbeiteten. Als Äquivalent zu den Samizdat-Verlagen,
die in den realsozialistischen Staaten an der Verbreitung verbotener
Schriften ausgerichtet waren, entstanden die Magnetizdat-Label,
die nonkonforme Musikaufnahmen vervielfältigten.
Die rasanten Entwicklungen im Bereich der elektronischen Datenverarbeitung
ermöglichten schon ein Jahrzehnt später eine weitere Demokratisierung
der Musikkultur. Vergleichsweise einfach bedienbare Programme, die
individuell am eigenen Computer nutzbar sind, ersetzten zunehmend
kostspielige Instrumente und Aufnahmestudios. Das Internet eröffnete
dann eine Vielzahl neuer, zuvor ungeahnter Möglichkeiten der
Informationsverbreitung und Selbstdarstellung bzw. auch der Verbreitung
und insbesondere der Vermarktung von Musik.
PARTY-POLITICS
In den neunziger Jahren fand das Lebensgefühl eines
großen Teils der Jugend zunehmend in der Techno-Kultur einen
Ausdruck. Verschiedenen Industriezweigen gelang es dabei einmal
mehr die Hauptströmung kommerziell zu vereinnahmen. Charakteristisch
ist die Entwicklung der Loveparade von einem kleinen Umzug, in dessen
Zentrum das gemeinsame Feiern und zumindest die vage Vision einer
friedlicheren Welt stand, zu einer völlig kommerzialisierten
Massenveranstaltung. Dem steht teilweise bis in die Gegenwart ein
vielfältig ausgerichteter Underground gegenüber, der zum
Teil eine musikalisch und inhaltlich wegweisende Rolle einnimmt.
Die vielfältigen soziokulturellen Ausprägungen der einzelnen
Party-Szenen mit ihren zumeist verschleiernden, in einigen Fällen
aber auch subversiven Elementen erschließen sich jedoch zumeist
erst nach einer genaueren Betrachtung.
Wenn Menschen zusammenkommen, um gemeinschaftlich feiernd aus den
Fesseln des Alltags auszusteigen, dann kann im Idealfall für
einige Stunden ein Freiraum bzw. im Sinne von Hakim Bey eine ”Temporäre
Autonome Zone” entstehen, in der zumindest der Ansatz eines
anderen Lebens Realität wird. Der politische Charakter einer
Veranstaltung wird dabei nicht unbedingt durch Transparente oder
Flugblätter bestimmt. Vielmehr bilden auch die Organisationsform
und der Umgang der Party-BesucherInnen untereinander in einem erweiterten
Verständnis wesentliche politische Faktoren.
Zu den ”Party-Politics” gehört beispielsweise die
Frage, ob eine einzelne Person an einer Party verdient oder es einer
Gruppe hauptsächlich um eine gute Party geht. Auch das Verhältnis
zur Natur bei einem Open-Air und damit beispielsweise die Frage
der Erzeugung bzw. Entsorgung des Mülls ist in diesem Kontext
zu sehen. Politisch ist ebenso, ob die Gäste eher gemeinschaftlich
oder egozentrisch miteinander umgehen, sowie das Verhältnis
der Geschlechter und der weit verbreitete Starkult.
Einen zentralen Aspekt auf Partys mit elektronischer Tanzmusik nimmt
oftmals die Erfahrung trancehafter Zustände ein. In der westlichen
Kultur war das Erleben derartiger Zustände, die sich der Steuerung
durch den Verstand weitgehend entziehen, lange tabuisiert. über
Jahrhunderte hinweg versuchten die christlichen Kirchen entsprechende
Ansätze zu unterdrückten. Dennoch besteht eine Traditionslinie,
die bei allen von schamanischen Trommelrritualen über die Feste
der Hexen bis zu Musikkulturen der Gegenwart reicht, in denen der
trancehafte Tanz eine zentrale Rolle einnimmt. In einer Gesellschaft,
die auf Kontrolle und Rationalität basiert, in der Gefühl
und Körper unter den Verstand gestellt sind, kann eine trancehafte
Party-Nacht zu einer Politik des Körpers werden, die potentiell
Elemente des Ausbruchs, aber auch der Flucht in sich trägt.
Welche Aspekte überwiegen hängt vom persönlichen
Selbstverständnis und dem sozialen Kontext ab, wobei gerade
die Party-Kultur zumeist von einem völlig unreflektierten und
konsumistischen Ansatz bestimmt wird.
SUBVERSIVE RHYTHMEN
Die „Reclaim the Streets“-Aktionen in einigen Großstädten
zeigen nachdrücklich, dass es durchaus möglich ist, die
oftmals als unvereinbar beschrieben Gegensätze von Politik
und Party auch in einem enger definierten Verständnis sinnvoll
miteinander zu verknüpfen. Über das Konzept traditioneller
Demonstrationen hinausgehend sollen die Aktionen nicht nur einer
trockenen Widergabe bestimmter linkspolitischer Haltungen entsprechen,
sondern einer lustvollen Manifestation eines alternativen Lebensgefühls
und einer vielfältigen Gegenkultur. DJs, Live-Acts und teilweise
Performance-KünstlerInnen sind fester Bestandteil der Umzüge,
während die TeilnehmerInnen in den Straßen tanzen und
für eine kurze Zeit öffentlichen Raum zurückerobern.
Mit einem gewissen Augenzwinkern beziehen sich die AktivistInnen
dabei bis heute oftmals auf die Anarchistin Emma Goldmann, die in
den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts einmal sinngemäß
verkündet haben soll: ”Wenn ich nicht tanzen kann, dann
ist es nicht meine Revolution.”
Die Verbindung von "Music, Mind and Politics" lässt
sich auch im Rahmen von Veranstaltungen unverkrampft multimedial
umsetzen. Entsprechend werden auf den "Connecta"-Events
Filme über politische Underground-Aktionen gezeigt, im Chill-Out
findet im Laufe der Nacht eine experimentelle Lesung statt und auf
dem Dancefloor wird zu technoiden Klängen getanzt. Das zweifellos
in diesem Kontext herausragende und größte Open-Air-Festival
im deutschsprachigen Raum ist die Fusion. Mehrere Bühnen und
die Hangarhallen eines ehemaligen Militärflugplatzes bieten
Raum für unterschiedliche Musikstile, Theater- und Filmaufführungen,
Ausstellungen und Workshops. Mit einem gewissen selbstironischen
Unterton sprechen die VeranstalterInnen vom "Ferienkommunismus"
bzw. von der Fusion als einer "Tankstelle für die Seele
im Kampf gegen den alltäglichen Wahnsinn". Trotz des immensen
organisatorischen Aufwandes und finanziellen Risikos ist es dabei
geglückt dem idealistischen Ansatz des Festivals treu zu bleiben.
Dies lässt wiederum alljährlich eine Atmosphäre entstehen,
die sich grundlegend von rein kommerziell ausgerichteten Festivals
unterscheidet und zumindest in Ansätzen zeigt, dass ein anderer
Weg möglich ist.
Die "Crossing Bridges“-Events stehen für die Möglichkeit
mit Musik gemeinschaftlich die Gräben zu überwinden, die
bis heute die Regionen des ehemaligen Jugoslawiens durchziehen.
Tanzend wird deutlich, dass die vorgeblich ethnischen Mauern zwischen
den Menschen künstliche sind, die letztlich nur dazu dienen
bestimmte Herrschaftsverhältnisse aufrecht zu erhalten. Fernab
machtpolitischer und ökonomischer Interessen entwickeln sich
immer wieder Netzwerke, deren Mitglieder sich nicht über die
Herkunft, sondern über gemeinsame Ideale definieren. "Different
cultures, different colours, different smells, but one world, one
people, one blood" heißt es in einem Track von Lava 303
entsprechend dazu. Die Message entspricht einer eigentlich selbstverständlichen,
geradezu banal anmutenden Erkenntnis, deren Umsetzung jedoch real
in vielen Bereichen widersinnige Grenzen entgegen stehen.
Wegweisend für die Verbindung von "Party and Politics"
bzw. für einen konsequenten Weg fernab von Konsum und Kommerz
war der Spiral Tribe. Die Gruppe zog lange als kleiner Stamm durch
England und organisierte an verschiedenen Orten Underground-Parties.
Ihre Lebensphilosophie beschrieben die Mitglieder als Verbindung
von radikalen, linken Positionen, psychedelischen Erfahrungen und
dem Wissen von Stammeskulturen. Der besondere idealistische Charakter
der Events zog bald immer mehr Interessierte an. Den Höhepunkt
bildete 1992 ein Free Rave an dem mehrere Zehntausend Menschen teilnahmen,
die ohne die sonst auf Festivals üblichen kommerziellen und
hierarchischen Strukturen gemeinschaftlich feierten. Die Regierungsstellen
reagierten auf die aus ihrer Sicht nicht kontrollierbaren Events
mit polizeilich durchgesetzten Verboten und einer Verschärfung
der Gesetzeslage. Die Mitglieder des Spiral Tribes verließen
in Folge England, um dann auf dem europäischen Festland von
einer Metropole zur nächsten zu ziehen und auch dort über
die Musik ihre Lebensverständnis weiterzutragen.
KREATIVE SPIELPLÄTZE
Engagement darf nicht nur eine Sache des Verstandes sein.
Wenn es nicht von einem positiven Gefühl getragen wird und
auch Momente der Freude und der Entspannung beinhaltet, dann setzen
schnell Frustration und Resignation ein. Die Lust an der Veränderung
erlangt besonders dann eine besondere Stärke, wenn es gelingt
die Ideale eines konkreten Utopias schon jetzt in Freiräumen
und in Aktionen bzw. in den Strukturen des Alltags zumindest ansatzweise
lebendig erfahrbar werden zu lassen. Nur so ist es möglich,
die Ebene der rationellen Abstraktion zu verlassen und in der Verbindung
von Kopf, Bauch und Beinen, von kritischer Analyse und emotionaler
Entfaltung eine neue Perspektive zu entwickeln. Ein Lächeln
allein wird die Welt nicht verändern, doch es kann in bestimmten
Situationen Türen öffnen, die ansonsten im Zuge der weitverbreiteten
Verbissenheit kaum wahrgenommen werden.
Das Konzept der Playgrounds zielt auf die gemeinschaftliche Freisetzung
kreativer Potentiale. Zu Grunde liegt die Idee kreativer Spielplätze,
die in Fußgängerzonen genauso wie in Schulen oder auf
Partys Gestalt annehmen können. In der Regel werden dabei Musikinstrumente,
Jongliergegenstände und Dekorationsmaterialien ausgelegt, die
von allen Anwesenden und Vorbeikommenden nach Lust und Laune genutzt
werden können. Meist entwickelt sich dann eine Session, in
der sich die Beteiligten anfangs eher auf sich bezogen auszudrücken,
um dann aber oftmals doch einen gemeinsamen Rhythmus bzw. eine neue
Ebene der Kommunikation zu finden. Die ansonsten selbstverständliche
Aufteilung zwischen aktiven KünstlerInnen und VeranstalterInnen
auf der einen Seite und passivem Publikum wird so immer wieder aufgebrochen.
Letztlich besitzt jeder Mensch ein kreatives Potential, das aber
durch die vorherrschenden gesellschaftlichen Strukturen meinst verdrängt
wird. Entsprechend verkünden die Mitglieder des Playground-Kollektivs
immer wieder ”Mach’s dir selbst, nimm
dein Leben in die Hand! Be your own live-act!”
Die hohe Bedeutung der Musik für das Selbstverständnis
von Jugendlichen spiegelt sich nur selten angemessen in den Schulen.
Der Bildungsapparat verspielt dadurch eine große Chance gerade
Jugendliche, die sich am Rande der Gesellschaft bewegen, über
die von ihnen bevorzugte Musik anzusprechen. So stehen im Zentrum
des Deutsch- und Englischunterrichtes zumeist literarische Klassiker,
die bei aller berechtigten Bedeutung jedoch Jugendlichen kaum erreichen.
Dagegen bieten aktuelle Musikstücke vielfältige Möglichkeiten
sich an Hand von Texten und Images mit Lebensrealitäten auseinanderzusetzen.
Darüber hinaus eröffnen kreative musikalische Angebote
für SchülerInnen neue Formen spielerischer Kommunikation
und Entfaltung, die langfristig zu einer Stärkung der Persönlichkeit
führt. Bei entsprechenden Projekten zeigt sich immer wieder,
dass teilweise SchülerInnen, die ansonsten im Unterricht eher
zurückhaltend auftreten, am Mikrophon oder an einem Instrument
aus sich herausgehen. Teilweise entwickelt sich eine sessionartige
Struktur bei der sich Gruppen bildeten die miteinander spielten.
In anderen Fällen liegt der Schwerpunkt auf einem individuellen
Ausprobieren oder auch auf einem offensichtlichen Abbau angestauter
Aggressionen. Vielfach lernen Jugendlichen erstmals auf der persönlichen
Ebene kreative Möglichkeiten der Entfaltung und des Ausdrucks
kennen. Durchgängig wird über derartige Angebot das Grundgefühl
vermittelt, dass nicht nur ein Pop-Star kreativ mit Instrumenten
umgehen kann, sondern Kreativität potentiell in jeder Person
vorhanden ist. Die zahlreichen Imitationen von bekannten MusikerInnen
bei den Workshops zeigen aber auch einmal mehr, wie stark Jugendliche
von der Medienwelt beeinflusst sind.
DIE POLITIK DER GERÄUSCHE
Grundlegend für die Weiterentwicklung einer konsequenten Musikkultur
ist die Toleranz gegenüber verschiedenen Ausdrucksformen. Eine
zwanghafte Konzentration auf eine Ausrichtung führt letztlich
zu einem Zustand, in dem eine freie Entwicklung bestenfalls eingeschränkt
möglich ist. Vielmehr erhält eine Musikströmung in
einem politischen Sinne erst dann eine tiefere Kraft, wenn sie von
einer lebendigen Wechselbeziehung zwischen kreativer Entfaltung
und dialektischer Auseinandersetzung mit den umgebenden Bedingungen
ausgeht, Ebenso notwendig ist eine Auseinandersetzung mit dem Charakter
scheinbar unpolitischer Musik, wie auch eine entschiedene Haltung
gegenüber Ausdrucksformen, die regressive Inhalte vermitteln.
Ein zentraler Aspekt im Rahmen einer Auseinandersetzung mit der
Bedeutung der Musik ist die Hinterfragung der eigenen Bedürfnisse.
Einen Ansatz können dabei Fragestellungen wie zum Beispiel
”Warum gefällt mir gerade dieser Musikstil?” oder
”Was bewirkt dieses Stück in mir?” sein. In der
Regel werden dadurch schnell persönliche Entwicklungsprozesse
und auch anerzogene Einstellungen deutlich, wobei es in einigen
Fällen schon durch das Erkennen der Zusammenhänge zu einem
reflektierteren Selbstbild kommen kann. Zudem wird ein bewusster
Umgang bzw. ein kritisches Einlassen auf die entsprechenden Erscheinungen
möglich.
Ein konsequentes Musikverständnis setzt ein bewusstes Hören
von Klängen in all ihren Vielfältigkeiten voraus. Natürliche
Geräusche besitzen dabei die gleiche Wertigkeit wie Töne,
die mit Hilfe herkömmlicher Instrumente erzeugt werden. Ein
Erleben des Zustandes der Stille ist nur eingeschränkt möglich,
da selbst bei völliger äußerer Stille, die Rhythmen
des Körpers vernehmbar sind. Eine Annäherung an diesen
Zustand kann jedoch helfen, sich auf die eigentliche Persönlichkeit
zu konzentrieren und ein neues Verhältnis zu den umgebenden
wie auch zu den inneren Abläufen zu erlangen. Ein bewusstes
Hören bildet dabei letztlich ein Element einer bewussten Wahrnehmung
an sich.
Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurden die Fundamente der westlichen
Musikkultur grundsätzlich in Frage gestellt und mehrfach im
Rahmen avantgardistischer Strömungen radikal aufgebrochen.
Eine wesentliche Rolle nahm dabei die Einbeziehung von Geräuschen
in die Musik ein. Schon der Futurismus bezog sich vor rund einhundert
Jahren in seinem Bestreben eine neue Musik zu schaffen auf vermeintlich
zeitgemäße Geräusche. Die italienischen Futuristen
verherrlichten dabei jedoch auch die Geräusche des Krieges
und unterstützten großteils später die faschistische
Terrorherrschaft Mussolinis. Die russischen Futuristen versuchten
statdtessen die Kunst aus ihren elitären Fesseln zu befreien
und eine neue Volkskunst zu entwickeln. Höhepunkte der Produktionsmusik,
die davon stark beeinflusst war, bildeten Konzerte in denen die
Bevölkerung ganzer Städte genauso wie unter anderem industrielle
Maschinen und Transportfahrzeuge als Instrumente einbezogen waren.
Im Zuge der stalinistischen Ausrichtung der sowjetischen Kulturpolitik
an einem dogmatischen ”sozialistischen Realismus“ wurden
derartige Ansätze jedoch bald zwangsweise aufgegeben.
Der Dadaismus, die Fluxus-Bewegung und die Avantgarde-Kreise um
John Cage eröffneten ein neues Kunst- bzw. Musikverständnis,
das sich meist erst im Gesamtkontext der Werke erschließt.
So stellten die DadaistInnen während des ersten Weltkrieges
über ihre scheinbar völlig absurden Aktionen die Definitionen
von Sinn und Unsinn in Frage und fügten sie einer neuen Bedeutung
zu. In einer Zeit, in der widersinniges Morden zur höchsten
Vernunft erklärt wurde, verweigerten sie sich der vorgeblich
zivilisierten Kultur und negierten konsequent die darin wurzelnden
Ausdrucksformen. Die Werke von John Cage beeinflussten später
nachhaltig das westliche Verständnis von Musik. Ausgehend von
anarchistischen und zen-buddhistischen Grundgedanken durchbrach
Cage immer wieder die Grenzen der traditionellen Musik und entwickelte
im Gegensatz dazu die Theorie und Praxis einer in sich herrschaftsfreien,
neuartigen Musik. Unter anderem trug er wesentlich zur Eingliederung
des Geräusches in die Musik bei, entwickelte offene Kompositionsformen,
begründete das Happening als Ausdrucksform und setzte sich
in seiner ganz eigenen Weise immer wieder mit der Stille auseinander.
”Die Musik, die mir am liebsten ist und die ich meiner eigenen
oder irgendeines anderen vorziehe, ist einfach die, die wir hören,
wenn wir ruhig sind.”
In der Tradition von Antonin Artaud und dem Wiener Aktionismus setzten
sich die Vertreter der Industrial Culture in den späten siebziger
Jahren mit gesellschaftlich tabuisierten Themen wie psychischen
Erkrankungen, Gewalt und Manipulation auseinander. Bands wie Throbbing
Gristle und SPK nutzen in diesem Sinne vielfach rohe, verzerrte
Sounds und verstanden die Darstellung von verdrängten Wirklichkeiten
als einen Weg zum Aufbrechen regressiver sozialer bzw. psychischer
Strukturen. In der experimentellen Musik entwickelten sich im Anschluss
vielfältige Strömungen, die mit verfremdeten Geräuschen
oder minimalistischen Drones arbeiteten, um neue Bedeutungszusammenhänge
und Atmosphären zu eröffnen. Ein sozialkritisches Selbstverständnis,
wie ihn das Projekt P.D formulierte, bildete jedoch eine seltene
Ausnahme: ”Kein Rhythmus, auf den man tanz-vögeln-marschieren
kann / keine Harmonien als Ausgleich für Emotionsdefizite /
keine Texte zum Mitsingen und Selbstvergessen / keine Möglichkeit
zu beschaulicher Meditation bei Kerzen und Wein.”
Auch im weiten Feld gegenwärtiger elektronischer Musikprojekte,
die mit Sounds auf verschiedenen Ebenen arbeiten, sind nur wenige
Veröffentlichungen zu finden, die sich ausdrücklich mit
soziokulturellen Thematiken auseinandersetzen. Ein bemerkenswertes
Projekt stellte Matthew Herbert unter dem Titel ”The Mechanics
of Destruction” zum kostenlosen Download online. Herbert nutzte
dabei teilweise verfremdete und mit gebrochenen Rhythmen unterlegte
Geräuschaufnahmen als Kritik am Konsumismus der westlichen
Welt wie auch an deren kulturellem Imperialismus. Im Kontext entsprechender
Hintergrundinformationen erlangen so beispielsweise die Aufnahmen
von Gesprächen in McDonald-Filialen eine neue Bedeutung. Ebenfalls
online abrufbar sind unter dem Label Public Record die Soundcollagen
und dokumentarischen Aufnahmen des New Yorker Projekts Ultra-red.
Zu hören sind unter anderem Solidaritätssprechchöre
auf Demonstrationen und atmosphärische Geräuschaufnahmen,
die an symbolträchtigen Orten entstanden. Teilweise werden
diese unbearbeitet wiedergegeben oder mit vielfältigen Sounds
und Beats unterlegt. Auch hier eröffnet sich im Gesamtkontext
die Möglichkeit einer bewussteren Wahrnehmung als Schritt auf
dem Weg konsequenter Veränderung.
GESTEUERTE TRÄUME
Gegenwärtig kommt es vor allem über die Massenmedien
als Teil einer übergreifenden Bewusstseinsindustrie zu einer
ausgeprägten Beeinflussung der Wahrnehmung, die sich im Zuge
der technischen Entwicklungen und der politischen Gleichschaltung
noch weiter verschärfen wird. Gerade der scheinbar unpolitische
Unterhaltungsbereich nimmt dabei eine herausragende Funktion ein.
Durch ihn werden oftmals in einer zumeist äußerst subtilen
Weise systemtragende Einstellungen wie eine passive Konsumhaltung,
ein vorrangig auf den materiellen Gewinn ausgerichtetes Leistungsprinzip
oder auch ein bestimmtes Verständnis von Liebe vermittelt.
Dabei bedarf es keineswegs immer einer bewussten Absicht der beteiligten
Personen. Vielmehr werden oftmals entsprechende Einstellungen in
der Dynamik von Verinnerlichung und kommerzieller Verwertung weitergetragen.
Teilweise ist der Einfluss der Medienstars und dabei insbesondere
der Musikidole auf Jugendliche wesentlich ausgeprägter als
der von Eltern oder LehrerInnen. Der damit verbundene Personenkult
lässt sich in einem wesentlichen Maße auf autoritäre
Charakterstrukturen zurückführen. Gesucht wird immer wieder
eine Orientierung an Leitfiguren, Führern, imaginären
Göttern oder Stars, die von der Ausrichtung an deren Produkten
bis zur völligen Unterwerfung reichen kann. Besonders einflussreich
sind zum Teil gerade die Filme, Fernsehshows und Musikstücke,
die vorgeben keine tiefergehende Aussage zu besitzen. Letztlich
steht jedoch jedes kulturelle Erzeugnis zwangsläufig in einem
Geflecht vielfätiger Beziehungen und besitzt zumindest unterschwellig
auch eine politische Tendenz.
So gab der afroamerikanische Rapper 50 Cent der weltweit erfolgreichen,
vermeintlich unpolitischen Verfilmung seines Lebens den Titel "Get
Rich or Die Tryin" und stilisierte damit unmissverständlich
materiellen Reichtum zum höchsten Wert. 50 Cent stellte sich
damit in eine Reihe von erfolgreichen schwarzen Musik- und Sportstars,
die als Beleg für die angebliche Durchlässigkeit der US-amerikanischen
Gesellschaft missbrauchen werden. Tatsächlich versuchen Millionen
in den Ghettos vergeblich diese Stars nachzuahmen, um den American
Dream für sich zu realisieren und aus Armut und Perspektivlosigkeit
auszubrechen. Sie werden dabei zu Opfern einer Ideologie bzw. eines
Systems, welches sich nicht an den eigentlichen Bedürfnissen
orientiert, sondern die Menschen vorrangig auf ihre Verwertbarkeit
reduziert. Der ehemalige Black-Panther-Aktivist Mumia Abu-Jamal
setzte in einem Artikel dem egozentrischen Slogan von 50 Cent mit
seiner Aufforderung “Get Free or Die Tryin'!” eine soziale
Perspektive gegenüber. Bezeichnender Weise ist Abu-Jamal jedoch
aus politischen Gründen im Todestrakt eines Gefängnisses
in Philadelphia inhaftiert, während 50 Cent in Interviews großspurig
über die sechsstelligen Summen berichtet, die er für Schmuck
und Kleidung ausgibt.
Im Rahmen des bestehenden Systems ist Musik eine Ware. Die Rolling
Stones sind dabei genauso ein Produkt, wie ein Waschmittel oder
eine Packung Zigaretten. Entscheidend für den Verkauf ist nicht
nur, ob das Produkt an sich anspricht oder ob es überhaupt
benötigt wird, sondern in einem wesentlichen Maße bestimmt
das insbesondere über die Medien vermittelte Image des Produktes
über den Kauf. Abhängig von der Zielgruppe basiert das
Image beispielsweise auf den Skandalen einer vergeblich rebellischen
Rockband, dem betont erotischen Auftreten einer Popsängerin
oder dem scheinbar idyllischen Privatleben eines Schlagerstars.
Vermittelt wird dieses Bild durch die Berichterstattung in den Medien
und insbesondere durch Videoclips. Die Musiksendungen und die speziellen
Videokanäle sind dabei zumeist nichts anderes als Werbesendungen
für das Produkt Musik.
Sobald sich das Image festgesetzt hat, wird das Musikstück
unbewusst mit diesem Bild und den entsprechenden Gefühlen in
Verbindung gebracht. Dann entscheidet nicht nur die Eingängigkeit
des Stückes, sondern vorrangig das Image über Gefallen
und Kauf. Vielfach findet eine Identifikation mit den Stars statt,
die sich dann neben dem Kauf von Schallplatten auch zum Beispiel
im Tragen von T-Shirts mit entsprechenden Motiven oder weitergehend
in der Übernahme von Verhaltens- und Denkmustern ausdrückt.
Eine persönliche Vorliebe für ein bestimmtes Musikstück
oder eine Band kann sich unter diesen Bedingungen nicht frei entwickeln.
Dementsprechend ist der Geschmack nicht Ergebnis einer unabhängigen
Entscheidung, sondern in einem wesentlichen Ausmaße die Folge
von gezielten Beeinflussungen.
Mit Hilfe des gigantischen, alles durchdringenden Medienapparates
werden unterdrückte und unbefriedigte Bedürfnisse werden
in die Traumwelten der Medienstars projiziert, in denen scheinbar
alle Wünsche Wirklichkeit werden können. Unterschwellig
wird vermittelt, dass es möglich ist, durch den Besitz eines
bestimmten Produktes den Träumen näher zu kommen, während
es dabei tatsächlich zu einer Ablenkung von den eigentlichen
Problemen und deren Ursachen kommt. Die Musik- bzw. Kulturindustrie
ist so immer auch eine Bewusstseinsindustrie.
Wie kaum einem anderen Pop-Star gelingt es Madonna Modetrends nachhaltig
zu prägen. Ganz im Stil der Postmoderne bedient sie sich selbst
bei unterschiedlichen Strömungen, nutzt einzelne Elemente um
sie neu zusammenzusetzen oder übernimmt eine komplette Ästhetik.
Ein Paradebeispiel waren Halsketten mit großen christlichen
Kreuzen, die durch Madonna zu einem massenhaft verbreiteten und
gleichzeitig inhaltlich völlig entleerten Modeaccessoire wurden.
Madonna war es auch, die dem Cowboy-Hut zu einer ungeahnten Popularität
verhalf. Nach der Veröffentlichung eines Videos in dem die
Sängerin mit Hut auftrat, wurde die zuvor bestenfalls als peinlich
verschriene Kopfbekleidung zum hippen Party-Utensil.
DER GEKAUFTE ELVIS
Selbst Menschen, die in weit von den Metropolen entfernten
Gebieten leben, können über das Fernsehen erreicht und
beeinflusst werden. Über den Prozess der weltweiten Gleichschaltung
trägt diese Entwicklung nachhaltig zur Zerstörung eigenständiger
Kulturformen bei. Im Zeitalter der Globalisierung werden die weltweit
ausgestrahlten US-amerikanischen TV-Serien dabei genauso wie die
internationalen Musikhits aus den Fabriken der multinationalen Konzerne
zu Symbolen eines modernen Imperialismus, der verstärkt auch
die populäre Kultur zur Ausweitung seiner Macht nutzt.
Gleichzeitig werden aber auch rebellische Grundhaltungen in ihrer
Hauptströmung zumeist durch den riesigen Verwertungsapparat
der Konzerne entschärft und kommerziell verwertet. Die Geschichte
der populären Musik ist von solchen Entwicklungen geprägt,
sie lassen sich im Zusammenhang mit dem Rock’n’Roll
genauso aufzeigen wie am Beispiel des Punk-Rocks, des HipHops oder
der Techno-Szene. All diese Strömungen wurzelten im Underground
als eine sich gegenüber dem Mainstream abgrenzende Szene. Es
ging dabei nur vordergründig um einen Generationenkonflikt,
sondern tatsächlich um gemeinschaftliche Freiräume und
um die Möglichkeit sich kreativ entfalten zu können bzw.
letztlich um ein selbstbestimmtes Leben.
Symbolhaft für die Entwicklung vom Underground zur Vereinnahmung
und kommerziellen Ausschlachtung ist die Entwicklung von Elvis Presley.
Anfangs galt er als jugendlicher Rebell, der mit seiner Interpretation
des Rock’n’Roll und insbesondere auch mit seinen erotisierten
Hüftbewegungen die Generation der Eltern schockte. Im Zuge
einer umfassenden Vermarktungsstrategie gelang es, über die
Jugend hinaus, ein großes Publikum anzusprechen, wobei Elvis
gleichzeitig die Schärfe seines rebellischen Images genommen
wurde. So wurde sich mit Fernsehanstalten zeitweise darauf geeinigt,
dass der Bildausschnitt erst oberhalb der Hüfte einsetzte,
um einen Skandal zu vermeiden. In den folgenden Jahren wurde aus
dem einstigen Rebell ein Schnulzensänger, den die Schwiegermutter
nun genauso sympathisch fand, wie der Sohn der einst über die
Strenge schlug. Genauso beispielhaft sind auf ihre Weise die Karrieren
unzähliger Punk- und Underground-Bands, die anfangs zu Verweigerung
und Widerstand aufriefen. Nachdem sie dann aber von Musikkonzernen
unter Vertrag genommen wurden, wandelten sie sich im Zuge der Vermarktung
oftmals zu oberflächlichen Rockbands mit banalen Texten.
Beispielhaft ist auch die Entwicklung der Techno-Kultur. Am Anfang
stand die betonte Abkehr von gängigen musikalischen Aufbauschemen,
von Starkult und Kommerz. Doch auch hier dauerte es nicht lange
bis die Industrie bzw. auch Teile der Szene selbst die Technokultur
kommerzialisierten. Einen Höhepunkt bildete in dieser Hinsicht
Marushas Hit ”Somewhere over the rainbow”, der wochenlang
den ersten Platz der Charts belegte. Das Stück war zwar eindeutig
dem Techno-Bereich zuzuordnen, es wurde jedoch auf jegliche Kanten
zugunsten eines eingängigen Refrains und eines herkömmlichen
Songaufbaus verzichtet. Bald darauf wurden auf der Suche nach neuen
Absatzmärkten auch die Kinder entdeckt und so trällerte
”Schlumpf-Techno” durch die Kinderzimmer. Die Plattenkonzerne
konnten so einmal mehr ihre Gewinne steigern, während die Fans
den altersgemäßen neuen Stars auf der Bühne zujubelten.
REBELLION UND VEREINNAHMUNG
Auf dem Weg von Underground in die Hitlisten vollziehen sich beständig
vergleichbare Mechanismen, die sich im Wesentlichen in acht Phasen
unterteilen lassen. Die erste Phase markiert die Entstehung einer
neuen Strömung im Underground. Wesentliche Merkmale sind die
konsum- und kommerzkritische Haltung des ”Do It Yourself”-Prinzips,
die Versuche soziale Freiräume zu entwickeln und das Bedürfnis
nach kreativer Entfaltung. Teilweise definieren sich diese Strömungen
klar politisch bzw. gegenkulturell, in anderen Fällen kommt
diese Haltung eher unbewusst und unterschwellig zur Geltung.
Die zweite Phase ist geprägt von einer wachsenden Ausbreitung
der Kultur, aber auch einer Ablehnung und Repression durch das Establishment.
Dazu gehören insbesondere die Eltern, die ihren Kindern das
Hören der neuen Musik oder beispielsweise auch einen Kleidungs-
oder Haarstil verbieten. Die Berichterstattung in den Medien ist
vielfach in dieser Phase von einer kritischen bis diffamierenden
Haltung geprägt, die der neuen Ausdrucksform zumeist den Musikcharakter
abspricht. Gleichzeitig werden einschränkende Maßnahmen
von staatlicher Seite eingeleitet, wobei es von den entsprechenden
Regierungen und Staatsformen abhängt, ob diese mit Vergehen
gegen Steuer- und Drogengesetze oder mit einer Gefährdung der
gesellschaftlichen Ordnung begründet werden.
In der dritten Phase kommt es zu einer Vereinnahmung durch die Industrie.
Nachdem das kommerzielle Potential einer neuen kulturellen Strömung
bzw. ihrer Ausdrucksformen deutlich wird, setzt eine Phase der Entschärfung
und der kommerziellen Verwertung ein. Daran beteiligt sind neben
der Musikindustrie unter anderem auch die entsprechenden Konzerne
aus dem Bereich der Bekleidungs-, Getränke- und Kommunikationsindustrie.
Die Mechanismen der Vermarktung führen zwangsläufig zu
einer Abrundung der musikalischen und inhaltlichen Kanten, um eine
möglichst große Käuferschaft anzusprechen. Das subversive
Potential und die einstigen Ideale werden dabei auf verwertbare
Images reduziert.
Die vierte Phase ist vom Übergang zum Mainstream bestimmt.
Die einstige Gegenkultur ist in ihrer Hauptströmung nun völlig
auf eine marktorientierte und weitgehend inhaltslose Stilrichtung
reduziert. Längst ist der Style als Modetrend festgelegt. Es
geht nicht mehr um die kreative Entwicklung, sondern um den massenhaften
Konsum. Nachdem am Anfang der meisten Strömungen die Ablehnung
des Starkults stand, treten nun die von der Industrie eingekauften
neuen Stars auf profitablen Massenevents auf.
Die fünfte Phase kennzeichnet eine Gegenbewegung im Underground.
Einige Vertreterinnen der Strömung stellen sich ausdrücklich
gegen die Kommerzialisierung und beziehen sich auf die ursprünglichen
Ideale bzw. versuchen diese weiterzuentwickeln. Der Underground
hat dabei zumeist noch einen starken stilistischen und inhaltlichen
Einfluss, der jedoch immer wieder vom Mainstream vereinnahmt wird.
In der sechsten Phase kommt es nach dem Überschreiten des kommerziellen
Höhepunktes zu einer quantitativen Reduzierung der AnhängerInnen
bzw. der Verkaufszahlen. Die verbliebene Szene unterteilt sich wiederum
in vielfältige Subkulturen mit spezifischen Ausprägungen,
die jedoch zunehmend an Bedeutung verlieren. Im Underground entwickeln
sich währenddessen neue Strömungen, um die über Jahre
hinweg vorherrschende Musikkultur abzulösen und den gleichen
Entwicklungsphasen zu folgen.
Nachdem die einstiege Massenkultur in der folgenden Phase dann über
Jahre hinweg bestenfalls als eine kulturelle Randerscheinung überdauert
hat, sofern sie nicht völlig verschwindet, folgen in der achten
Phase etwa zwei bis drei Jahrzehnte später diverse Revivals.
Die alten Bands werden wieder belebt und deren Hits als Remix neu
veröffentlicht, die Modeindustrie greift den einstigen Kleidungsstil
erneut auf und auf den TV-Kanälen laufen entsprechende Shows.
Teilweise findet die einstige Gegenkultur sogar den Weg in die Museen,
wo sie dann als abgeschlossene zeitgeschichtliche Erscheinung dokumentiert
wird, zumeist ohne einen Bezug der subversiven Ursprünge zur
Gegenwart aufzuzeigen.
DIE WELT HINTER DEN FASSADEN
Doch so sehr auch die Mechanismen der Manipulation fortgeschritten
sind, ein letztes Stück innerer Lebendigkeit, das Bedürfnis
nach freier Entfaltung und Selbstbestimmung, wird immer gegeben
sein. Ob sich dieses Bedürfnis entwickeln kann und zu einer
bewussten Haltung wird, liegt nicht nur an den äußeren
Bedingungen, sondern im Wesentlichen an jeder Person selbst. Der
zerstörende Charakter der gegenwärtigen Entwicklungen,
denen gleichermaßen Mensch und Natur zum Opfer fallen, ist
trotz der vielfältigen Ebenen der Verschleierung dermaßen
offensichtlich, dass sich der daraus wachsenden Verantwortung niemand
entziehen kann. Es gibt kein richtiges Leben im falschen, also keine
wirklich befreite Form der Existenz unter den Bedingungen eines
repressiven Systems, stellte der Sozialwissenschaftler Adorno einmal
fest. Die Möglichkeit und die Notwendigkeit einer Annäherung
aber besteht.
Die Praxis, die sich daraus ableitet, kann unterschiedlich ausprägt
sein. Den einzig wahren Weg gibt es nicht, vielmehr sollte ein solidarisches,
aber keineswegs unkritisches Verhältnis gegenüber verschiedenen
Ansätzen entwickelt werden, sofern diese konsequent zerstörende
Strukturen in Frage stellen. Es bestehen gleichermaßen Situationen
in denen direkte Aktionen notwendig sind, wie es zu Situationen
kommen kann, in denen ein Flugblatt, ein Musikstück oder ein
Gespräch wesentlich mehr bewirken. Es gibt Personen, die ihren
Schwerpunkt in der inneren Entwicklung und in der konstruktiven
Auseinandersetzung mit ihrem direkten Umfeld sehen, während
anderen Personen Aktivitäten auf der gesellschaftlich-politischen
Ebene näher liegen. Zweifellos können Entwicklungen auftreten
in denen nur ein Weg beschreitbar ist, generell sollten sich aber
die verschiedenen Ansätze ergänzen und nicht wie so oft
behindern.
Beschreibungen des potentiellen Charakters der Musik in einem konkreten
Utopia sind zwangsläufig nur begrenzt möglich, da sich
auf Grund der veränderten äußeren Bedingungen auch
die Bedürfnisse und das Bewusstsein verändern würden.
Zu erwarten wäre langfristig ein erweitertes Verständnis
von Musik und generell eine Aufhebung der Trennungslinien zwischen
den Kunstgattungen. Die Zielsetzungen der Erwirtschaftung von Profit
und der Befriedigung manipulierter Bedürfnisse wären aufgehoben,
stattdessen würden sich neue Möglichkeiten kreativer Entfaltung
und gemeinschaftlicher Kommunikation eröffnen.
Ein Blick hinter die Fassaden der modernen Gesellschaften offenbart
eine Vielzahl von idealistischen Ansätzen mit denen zumindest
versucht wird, den ersten Schritt auf diesem Weg zu gehen, auch
wenn selbst eine Annäherung auf der gesamtgesellschaftlichen
Ebene derzeit nahezu illusionär erscheint. Es geht im Rahmen
dieser Bestrebungen dabei immer wieder um die Möglichkeit eines
selbstbestimmten Lebens. Es geht um eine Hoffnung, um eine konkrete
Perspektive, es geht um konsequente Veränderung im Hier und
Jetzt.
Wolfgang Sterneck, November 2006.
Kontakt : w.sterneck@sterneck.net
Archiv Musik und Veränderung : www.sterneck.net/musik
Literatur zum Thema von Wolfgang Sterneck:
- Stille, Bewusstsein und Veränderung. (Mit John Cage).
- Der Kampf um die Träume – Musik und Gesellschaft.
- Cybertribe-Visionen.
- Tanzende Sterne – Party, Tribes und Widerstand.
www.sterneck.net
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