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Wolfgang Sterneck
WIE HEISST DAS GRÖSSTE DROGENFEST IN DEUTSCHLAND?
Der „War on Drugs“ ist gescheitert. Er konnte ohnehin
nie gewonnen werden, sondern hat nur zu unzähligen Kriegsopfern
geführt. Millionen Menschen konsumieren in allen Teilen des
Erdballs psychoaktive Substanzen, trotz oftmals äußerst
repressiver Maßnahmen. Ein wesentlicher Teil davon gebraucht
sie allen Abhängigkeitsklischees zum Trotz weitgehend problemlos.
Längst ist es notwendig, diesen Umstand zu akzeptieren und
den „War on Drugs“ zu beenden. Der Drogenkrieg sollte
zugunsten eines Friedensprozesses ersetzt werden, der auf einer
sachlichen Einschätzung von Drogen basiert, sowie an Mündigkeit,
Verantwortung und Selbstbestimmung ausgerichtet ist.
DER DROGENKRIEG TÖTET WELTWEIT
Der derzeitige illegale Drogenmarkt ist in weiten Bereichen das
extreme Abbild eines völlig unregulierten kapitalistischen
Marktes, in dem der kurzfristige Profit die einzig bestimmende Maxime
ist. Sieht man von einem möglicherweise freundschaftlichen
Verhältnis von DrogengebraucherInnen zu einem verantwortungsvollen
„Hausdealer“ ab, so spielen Aspekte wie Gesundheitssicherung,
Reinheit der Substanz oder sachliche Informationen bzw. generell
eine Verantwortung des Händlers gegenüber dem Kunden bestenfalls
in Bezug auf die taktische Sicherung des Absatzmarktes eine Rolle.
Global betrachtet sind es vor allem mafiöse Drogenkartelle,
die insbesondere durch den Handel mit Kokain und Heroin jährliche
Gewinne in Höhe von mehreren Milliarden US-Dollar, erzielen.
Dass erwiesener Maßen auch Geheimdienste wie die CIA in Drogengeschäfte
verwickelt waren oder noch immer sind, während die entsprechenden
Regierungen an anderer Stelle vorgeben den Drogenhandel zu bekämpften,
gehört zu den eklatanten Widersprüchlichkeiten der vorherrschenden
Drogenpolitik, aber gleichzeitig auch zu ihrer inneren Logik.
Besonders bizarre Ausmaße hat der Drogenkrieg in Teilen Mexikos
angenommen, wo mehrere Drogenkartelle gegeneinander grausam um den
Markt illegalisierter Substanzen kämpfen und die vielfach korrupte
Polizei bzw. das Militär längst die Kontrolle verloren
hat. Allein 2010 kamen bei den Auseinandersetzungen öffentlichen
Angaben zufolge über 15.000 Menschen ums Leben.
Von den meisten Staaten werden Unsummen in die Bekämpfung des
Drogenhandels und des Drogengebrauchs eingesetzt. Repressive Gesetzte
führen dazu, dass weltweit hunderttausende Menschen auf Grund
des Gebrauchs oder Besitzes von Drogen inhaftiert sind oder in einigen
Staaten sogar zum Tode verurteilt werden. Doch trotz dieser repressiven
Maßnahmen und unzähliger Anti-Drogenkampagnen ist der
Gebrauch von Drogen nicht zurückgegangen.
Tatsächlich hat der „War on Drugs“, wie er von
der Regierung der USA offiziell bezeichnet wird, weltweit „inzwischen
mehr Schaden angerichtet als der Missbrauch von Drogen selbst.“
Dies wurde treffend 1998 in einem vom Lindesmith Center initiierten
und noch immer aktuellen internationalen Protestbrief
an die UNO festgestellt, den rund 200 Persönlichkeiten aus
Politik, Kultur und Wissenschaft unterschrieben hatten.
Prägnant werden in dem Protestbrief die Folgen der vorherrschenden
Politik zusammengefasst: „In vielen Teilen der Welt verhindert
die Politik des Drogenkrieges Maßnahmen der Gesundheitsfürsorge,
Menschenrechte werden verletzt, Umweltschäden erzeugt und Gefängnisse
überschwemmt. Realistische Vorschläge zur Verminderung
drogenbezogener Kriminalität werden dagegen zugunsten rhetorischer
Ansätze, drogenfreie Gesellschaften zu schaffen, verworfen.”
DER GIFTIGE ABFALL
Zumeist weitgehend unterschätzt oder gar völlig ignoriert
wird der Umstand, dass nicht nur Menschen unter dem „War on
Drugs“ in seinen unterschiedlichen Ausprägungen zum Opfer
fallen, sondern auch die ökologische Umwelt einen enormen Schaden
erleidet.
Unter den Bedingungen der Illegalität werden die chemischen
Substanzen, die zur Herstellung oder Verarbeitung vieler Drogen
notwendig sind, in der Regel verantwortungslos entsorgt. Die Abfallstoffe
verseuchen in einigen Ländern ganze Landstriche.
Hinzu kommen die gezielten Zerstörungen von Anbauflächen
und Ernten im Zuge des „War on Drugs“ durch den großflächigen
Einsatz von Pflanzengiften sowie durch militärische Einsätze.
Die Pflanzengifte lassen sich selbstverständlich nicht auf
eine als Droge verteufelte Pflanze reduzieren, sondern wirken nachhaltig
mit unabsehbaren Folgen auch auf die umgebende Natur und die ansässige
Bevölkerung. Vor diesem Hintergrund spricht gerade auch der
ökologische Faktor für eine Überwindung der Prohibition
zugunsten eines auf jeder Ebene verantwortungsvollen Umgangs mit
Drogen.
DIE MASS BIER UND DER JOINT
Auch in den westeuropäischen Staaten in denen sich im Vergleich
zum „War on Drugs“ ein wesentlich differenzierter Weg
durchgesetzt hat, der in Abstufungen bzw. unterschiedlichen Schwerpunkten
auf den Säulen der Prävention, der Therapie, der Schadensminderung
und der Repression basiert, ist man von einer Lösung der Drogenproblematik
weit entfernt.
Unter den Bedingungen von Schwarzmarkt und Prohibition sind Drogenkonsumräume
und Drug-Checking-Programme notwendige Instrumente der Gesundheitsförderung,
die im Kontext vernetzter Angebote zu sehen ist. Im Einzelfall können
derartige Projekte Leben retten, allerdings ändern sie an den
zu Grunde liegenden strukturellen Problematiken nichts. Das Ziel
einer nachhaltigen Drogen- und auch Gesundheitspolitik muss weit
über derartige Angebote hinausreichen.
Die Zielsetzung kann dabei nicht in einem Staat liegen, der auf
vermeintliche Schwächen oder mögliche Problematiken im
Zusammenhang mit einem Gebrauch von psychoaktiven Substanzen insbesondere
mit Verboten und Repression reagiert. Vielmehr sollte es zu den
gesellschaftlichen Zielen gehören, diese Problematiken auf
ein Minimum zu reduzieren bzw. positive Potentiale zu entwickeln
und zu stärken, welche im Idealfall die Problematiken erst
gar nicht aufkommen lassen.
So gehört die Entwicklung von Bedingungen, in denen die Menschen
befähigt sind, mündig über ihr Leben und ihre Handlungen
selbst zu bestimmen, zu den grundlegenden Aufgaben von Gesellschaft
und Staat. Eine erwachsene Person, die auf der Basis von sachlichen
Informationen bewusst und verantwortungsvoll entscheiden kann, bedarf
keiner staatlichen Regelungen, die vorgeben, ob sie ein Mass Bier
trinken oder sich einen Joint anstecken darf.
OKTOBERFEST UND DROGENFORSCHUNG
Die Frage nach dem größten Drogenfest in Deutschland
würde in jeder Quizsendung ein Schmunzeln auslösen. Die
Antwort findet sich jedoch nicht in einem Techno-, Hippie- oder
Underground-Event. Vielmehr ist vermutlich das Münchener Oktoberfest
die Veranstaltung in Deutschland, die den höchsten Drogenkonsum
aufzuweisen hat. Es kommt regelmäßig als fester Bestandteil
des ausgelassenen Feierns zu zigtausenden Überdosierungen sowie
im Zusammenhang mit dem Konsum von Alkohol auch zu zahlreichen Unfällen,
Gewaltdelikten und sexuellen Übergriffen.
Im Oktoberfest spiegelt sich die vorherrschende Drogenpolitik in
all ihrer irrationalen Widersprüchlichkeit. Auf der einen Seite
eine Veranstaltung, die trotz all ihrer Exzesse in den Medien beworben
wird. Traditionell eröffnen PolitikerInnen die sogenannte fünfte
Jahreszeit, Fußball-Vereine inszenieren werbewirksam den Besuch
des Festes mit ihren Spitzensportlern und kaum ein TV-Sender verzichtet
auf eine Sondersendung von der „Wiesn“.
Eine rationale Drogenpolitik, die an den Bedürfnissen der Menschen,
an kulturhistorischen Entwicklungen und an wissenschaftlichen Erkenntnissen
ausgerichtet ist, darf selbstverständlich nicht verharmlosen,
sie darf jedoch auch in keiner Weise dämonisieren. Zweifellos
beinhaltet der Gebrauch psychoaktiver Substanzen immer ein Risiko,
wie nicht nur der Gebrauch illegalisierter, sondern insbesondere
auch das Beispiel der legalen Substanzen Alkohol und Nikotin deutlich
zeigt. Notwendig ist jedoch eine differenzierte Einschätzung,
welche die Wirkungen und Risiken, aber auch die Potentiale psychoaktiver
Substanzen angemessen wiedergibt.
Eine umfassende wissenschaftliche Untersuchung
von psychoaktiven Substanzen, die 2007 unter der Leitung von
David Nutt an der University of Bristol durchgeführt wurde,
hat deutlich gezeigt, dass entgegen der gängigen Einschätzung
und der gesetzlichen Einordnungen Alkohol, Benzodiazepine (entspannende
Psychopharmaka) und Tabak im „Mittelwert aus Gesundheitsgefahr,
Suchtpotential und Schaden für die Gesellschaft“ als
„gefährlicher“ einzustufen sind, als Cannabis,
LSD und Ecstasy.
Eine Nachfolgestudie
bestätigte 2010 die Ergebnisse. Unter Berücksichtigung
vielfältiger substanzspezifischer, individueller und sozialer
Aspekte erwies sich unter den analysierten Substanzen der Alkohol
als die schädlichste Substanz.
Bereits 1997 entkräftete eine umfassende französische
Untersuchung,
die im Auftrag des französischen Ministeriums für Gesundheit
durchgeführt wurde, das oftmals vorherrschende Verständnis
von legalen Drogen als vergleichsweise ungefährlich bzw. von
illegalen Drogen als hochgefährlich. Im Ergebnis unterteilte
die sogenannte „Roques-Studie“ psychoaktive Substanzen
hinsichtlich des „Gefahrenpotentials“ in drei Gruppen.
Zur Gruppe mit dem höchsten Gefahrenpotential gehören
Heroin, Alkohol und Kokain, zur zweiten Gruppe mit einem geringeren
Potential Ecstasy, Psychedelika und Tabak und zur dritten Gruppen
mit dem vergleichsweise geringsten Gefahrenpotential wurde Cannabis
gezählt.
Trotz der zum Teil großen medialen Resonanz fand keine der
Studien einen Niederschlag in der Drogenpolitik auf nationaler oder
internationaler Ebene. Eine seriöse Beschäftigung mit
den Ergebnissen würde die Drogengesetzgebung der letzten Jahrzehnte
vollständig in Frage stellen und ihre Irrationalität offenbaren.
Letztlich geht es jedoch nicht darum, Maßnahmen einzuleiten,
die auch noch Alkohol und Tabak illegalisieren. Vielmehr sollten
Bedingungen geschaffen werden, die ermöglichen, dass generell
jede Person auf der Basis von sachlichen Informationen und einer
frühen Erziehung zur Mündigkeit, selbstbestimmt und reflektiert
über den Konsum von psychoaktiven Substanzen entscheiden kann.
VERSCHLOSSENE UND GEÖFFNETE WELTEN
Jede Droge hat ein vielfältiges Wirkungsspektrum. In Abstufungen
können einige Drogen stark abstumpfen, den Zugang zur Wirklichkeit
verschließen und Abhängigkeiten erzeugen. Besonders die
verelendeten Heroin- und Crackabhängigen in vielen Großstädten
machen dies besonders drastisch deutlich und haben die öffentliche
Wahrnehmung von Drogen maßgeblich geprägt. Dabei wird
zum Teil nicht berücksichtigt, dass diese Erscheinungen nur
einen kleinen Ausschnitt des vielfältigen und zumeist völlig
unspektakulären gesellschaftlichen Umgangs mit Drogen bilden.
Die Einseitigkeit der Wahrnehmung, die oftmals mit tiefen Ängsten
vor der scheinbaren Macht der Drogen verbunden ist, führte
dazu, dass zum Teil schon eine ausgewogene Beschreibung von Drogen
als verharmlosend kritisiert wird, sofern sie nicht nur Gefahren
sondern auch positive Potentiale der Substanzen beschreibt.
Entgegen der Klischees ist beispielsweise längst die Bedeutung
von Cannabis als Medizin, von Ecstasy als öffnende Substanz
in der Psychotherapie sowie von LSD und anderer Psychedelika als
Mittel der Bewusstseinsforschung wissenschaftlich eindeutig belegt.
Anthropologisch betrachtet gab es kaum eine Kultur, die nicht auch
psychoaktive Substanzen in einem Rahmen nutzte, um gezielt in bestimmte
Gefühls- und Bewusstseinszustände zu gelangen. In dieser
Tradition stehen so unterschiedliche psychoaktive Pflanzen wie der
Koka-Strauch, Peyote-Kakteen und Psilocybin-Pilze. Der Gebrauch
war in den entsprechenden Kulturen gesellschaftlich integriert und
verlief in diesem Kontext, soweit bekannt, insgesamt problemlos.
DROGEN, KUNST UND CYBERSPACE
Entgegen der Klischees ausschließlich zerstörender Drogen
sind zahlreiche anerkannte Meisterwerke in der Literatur, in der
Musik und der Kunst nachweislich unter dem Einfluss psychoaktiver
Substanzen entstanden. Das Spektrum reicht von Aldous Huxley und
William S. Burroughs über die Beatles und Velvet Underground
bis zu Alex Grey und HR Giger, um einige herausragende Beispiele
der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts zu nennen.
Es gibt kaum eine kulturelle Strömung in der nicht eine psychoaktive
Substanz eine besondere Rolle eingenommen hat. Gerade in den Kreisen,
die einen Drogenkonsum weit von sich weisen, nimmt bemerkenswerter
Weise zumeist der Alkohol eine besondere Rolle ein.
Auch die Entwicklung des Computers und des Internets wurde entscheidend
durch psychoaktive bzw. psychedelische Substanzen mit geprägt.
So bekannten sich führende VertreterInnen der Computer- und
Cyber-Industrie zum Gebrauch psychedelischer Substanzen, der zum
Teil zu einer innovativen mehrdimensionalen Veränderung ihres
Denkens beigetragen hat. Diese bildete wiederum eine wesentliche
Voraussetzung für die Entwicklung neuartiger Computersysteme,
für die Konzepte der Virtual Reality und letztlich für
die Ausgestaltung des Internets.
Die Beendigung des „War on Drugs“ würde unzählige
neue Opfer verhindern. Es würde zudem ermöglicht, sich
mit den Problemen, die zum Teil mit dem Drogenkonsum verbunden sind,
in einer offeneren und damit auch erfolgreicheren Weise zu beschäftigen.
Die kontrollierte Freigabe von psychoaktiven Substanzen würde
darüber hinaus dem einzelnen Menschen Freiheit und Selbstbestimmung
zurückgeben. Unter der mündigen Berücksichtigung
potentieller Risiken würden dadurch vielfältige Ebenen
der Entfaltung und Gestaltung wieder eröffnet.
www.sterneck.net
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