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FREIRÄUME ENTWICKELN
DAS BESETZTE AUTONOME KULTURZENTRUM
METZGERSTRASSE / HANAU
Der Traum eines anderen, eines befreiten Lebens... - Wenn er in
dieser Zeit, in diesem System auch nur ansatzweise umsetzbar ist,
dann in gesellschaftlichen Freiräumen, die selbstbestimmt entwickelt
und oftmals gegen vielfältige Formen des äußeren
Drucks durchgesetzt werden müssen.
Im Dezember 1986 kam es in Hanau zur Besetzung der Metzgerstraße
8, einem Haus, das seit mehreren Jahren leer stand. Das Gebäude
wurde renoviert, neu gestaltet und wird seitdem als Autonomes Kulturzentrum
genutzt. Die Besetzung war gleichermaßen Ausdruck gesellschaftlicher
Widersprüche und politischen Widerstandes, wie auch eine weitere
Etappe der Entwicklungen in Hanau im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen
um die Durchsetzung gegenkultureller Freiräume.
PERSPEKTIVEN DER VERÄNDERUNG
In einer Situation in der eine wirklich befreiende Gesellschaftsveränderung
zumindest in absehbarer Zeit illusionär erscheint kann es vorrangig
nur noch darum gehen, Sand und nicht Öl im Getriebe der gigantischen
Mensch und Natur ausbeutenden Maschinerie zu sein. Die Hoffnung,
diese als Ganze aufzuhalten, sie vielleicht sogar zu überwinden
und etwas neues aufzubauen, wird wohl eine Hoffnung bleiben. Weitaus
wahrscheinlicher ist es, dass sie selbst als Ergebnis der sozialen
Gegensätze und langfristig insbesondere auf Grund der Zerstörung
ökologischer Grundlagen ihren eigenen Untergang bewirken wird
und dabei alles was sie umgibt mitreist.
Der zerstörende Charakter der gegenwärtigen Entwicklungen
ist trotz der vielfältigen Ebenen der Verschleierung dermaßen
offensichtlich, dass sich der daraus wachsenden Verantwortung niemand
entziehen kann. Es gibt kein richtiges Leben im falschen, also keine
wirklich befreite Form der Existenz unter den Bedingungen eines
repressiven Systems, stellte der Sozialwissenschaftler Adorno einmal
fest. Die Möglichkeit und die Notwendigkeit einer Annäherung
aber besteht.
Die Praxis, die sich daraus ableitet, kann unterschiedlich ausprägt
sein. Den einzig wahren Weg gibt es nicht, vielmehr sollte ein solidarisches,
aber keineswegs unkritisches Verhältnis gegenüber verschiedenen
Ansätzen entwickelt werden, sofern diese konsequent die vorherrschenden
zerstörenden Strukturen in Frage stellen. Es bestehen gleichermaßen
Situationen in denen direkte Aktionen notwendig sind, wie es zu
Situationen kommen kann, in denen ein Flugblatt, ein Musikstück
oder ein Gespräch wesentlich mehr bewirken. Es gibt Personen,
die ihren Schwerpunkt in der inneren Entwicklung und in der konstruktiven
Auseinandersetzung mit ihrem direkten Umfeld sehen, während
anderen Aktivitäten auf der gesellschaftlich-politischen Ebene
näher liegen. Zweifellos können Entwicklungen auftreten
in denen nur ein Weg beschreitbar ist, generell sollten sich aber
die verschiedenen Ansätze ergänzen und nicht wie so oft
behindern.
Vor diesem Hintergrund steht die Entwicklung gegenkultureller Freiräume
für einen Versuch den Träumen eines befreiten Lebens zumindest
ansatzweise näher zu kommen. Als eine konkrete Verbindung innerer
und äußerer Veränderung bilden sie einen Rahmen
für die mögliche Verbindung von persönlicher Weiterentwicklung,
gemeinschaftlichen Zusammenleben und politischem Widerstand.
KÄMPFE UM FREIRÄUME
Inwieweit eine Annäherung an diese Vorstellung von Freiräumen
möglich ist bzw. welche Schwerpunkte konkret gesetzt werden,
hängt letztlich wechselwirkend von den gesellschaftlichen Bedingungen
und den beteiligten Personen ab. In der jüngeren Geschichte
der Bundesrepublik Deutschland wurden gegenkulturelle Freiräume
vielfach im Zusammenhang mit besetzten Häusern und autonomen
Zentren erkämpft.
Der wesentliche Ursprung dieser Kämpfe liegt in der Außerparlamentarischen
Opposition (APO) in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre.
Nach einer langen Zeit der politischen Stagnation wurden durch diese
Bewegung erstmals wieder die Möglichkeiten einer revolutionären
gesellschaftlichen Veränderung in breiteren Kreisen diskutiert
und angegangen. Der Bezugspunkt vieler aus der APO hervorgegangenen
Gruppen war das Proletariat als revolutionäres Subjekt. Diese
Strategie erwies sich jedoch als genauso unzureichend wie die Hoffnung,
dass Randgruppen, welche den repressiven Charakter des herrschenden
Systems am deutlichsten spüren, eine wirklich revolutionäre
Kraft entwickeln und an den Wurzeln ansetzende Veränderungen
der herrschenden Ordnung bewirken würden. Die subjektive Bindung
an das System ist bei einem überwiegenden Teil der Bevölkerung
über alle sozialen Schichten hinweg bis heute viel zu stark,
als dass sie sich durch klassenkämpferische Ansätze oder
die Propagierung eines antiautoritären Lebensgefühls auch
nur ansatzweise aufbrechen lässt.
In den Ländern in denen es in der zweiten Hälfte des
letzten Jahrhunderts im nationalen Rahmen zu einem revolutionären
Wandel kam, waren die Veränderungen nicht konsequent genug,
um eine wirklich befreite Gesellschaftsordnung aufzubauen. Der revolutionäre
Elan in Staaten wie Algerien, Kuba oder Vietnam erstarrte trotz
aller Errungenschaften schnell in den Fesseln neuer Herrschaftseliten,
die zwar die wirtschaftlichen Eigentumsverhältnisse veränderten,
aber die autoritär-patriarchalen Gesellschaftsstrukturen unangetastet
ließen. Einen entscheidenden Faktor bildete dabei der Einfluss
des realsozialistischen Staaten, sowie der äußere Druck
der imperialistischen Mächte, der einen ständigen wirtschaftlichen
und politischen Ausnahmezustand bewirkte und damit die Möglichkeiten
einer selbstbestimmten Entwicklung stark einschränkte.
Anfang der siebziger Jahre begann in vielen großen Städten
der Bundesrepublik eine Phase der Umstrukturierung. Die Innenstädte
und einzelne Stadtteile wurden entwohnt und in ihrer gewachsenen
Struktur wesentlich verändert um dort nach marktwirtschaftlichen
Erfordernissen Einkaufszonen oder Bürozentren entstehen zu
lassen. Teilweise wurden auch Häuser und Wohnungen renoviert
und umgestaltet, um sie dann zu stark erhöhten Preisen, die
von den alten MieterInnen oftmals nicht mehr gezahlt werden konnten,
neu zu vermieten. Nicht selten ließen die formellen EigentümerInnen
auch Wohnraum gezielt verfallen, um mit dem Grundstück zu spekulieren.
Gleichzeitig entstanden in den städtischen Randbezirken Hochhausghettos,
die zwar verhältnismäßig billigen Wohnraum boten,
aber von einer phantasielosen Sterilität und fehlenden Entfaltungsmöglichkeiten,
sowie von der daraus folgenden zwischenmenschlichen Entfremdung
geprägt sind.
Der Prozess der Umstrukturierung beschränkte sich keineswegs
auf die Bundesrepublik Deutschland, er ist vielmehr zeitversetzt
weltweit für die Großstädte, sowie in einem verkleinerten
Maßstab auch zunehmend für mittelgroße Städte
charakteristisch. Abhängig von der lokalen Bedingungen ist
dieser Prozess zum Teil in Folge massenhafter Verelendung von der
Entstehung von Elendsvierteln oder gar Slums an den Stadträndern
begleitet. Diese Entwicklungen verlaufen als Ganzes in der Regel
jedoch keineswegs gesteuert, sondern wurzeln vielmehr in der Dynamik
ökonomischer und sozialer Prozesse.
Einige Gruppen aus dem Spektrum der radikalen Linken richteten
sich in den frühen siebziger Jahren gezielt gegen diese Politik,
verbanden dies mit der Forderung nach Möglichkeiten eines selbstbestimmten
Wohnens bzw. Lebens und versuchten dies unter anderem über
Hausbesetzungen durchzusetzen. Diese Häuserkämpfe wurden
dabei wesentlich stärker als in späteren Jahren als Teil
des Klassenkampfes verstanden. Häuserkampf kann in dieser
Realität aus Entfremdung, Ausbeutung, Kontrolle und Unterdrückung
eine Bresche schlagen, wenn wir uns nicht in die geschaffenen Freiräume
zurückziehen und verkriechen, sondern wenn wir von hieraus
versuchen, unsere Vorstellungen von einem anderen Leben politisch
und praktisch zu vermitteln. Den Kampf um Befreiung ausweiten -
Häuserkampf als Klassenkampf verstehen.(1)
Die Zielsetzung breitere Bevölkerungskreise über gemeinsame
Interessen anzusprechen bzw. eine entsprechende Politik zu entwickeln,
konnte jedoch nur ansatzweise umgesetzt werden. So gelang es den
Staatsorganen unter anderem auf Grund dieser Schwäche die Bewegung
über repressive Maßnahmen in die Defensive zu drängen.
Hausbesetzungen blieben zwar auch danach ein wesentliches Mittel
zur Durchsetzung von Freiräumen, es konnte jedoch lange nicht
mehr eine vergleichbare Stärke erreicht werden.
In der Regel wurden die Versuche Freiräume über Hausbesetzungen
durchzusetzen von gemischt-geschlechtlichen Gruppen getragen. In
einigen Fällen traten jedoch auch verschiedene Gruppen aus
der neuen Frauenbewegung dafür ein Zentren ausschließlich
für Frauen zu schaffen. In der Mitte der siebziger Jahre gelang
es in verschiedenen Städten teilweise von Hausbesetzungen ausgehend
entsprechende Zentren aufzubauen. Einige Frauen aus einem Zentrum
in Heidelberg beschrieben zu dieser Zeit ihr Selbstverständnis
folgendermaßen: Bisher sahen wir Probleme mit unserem
Freund oder Ehemann als privat an. Jetzt haben wir gemerkt, dass
es allen Frauen ähnlich geht, und dass wir uns gegenseitig
helfen können. Dazu brauchen wir Räume, die jeder Frau
zugänglich sind: Ein Kommunikationszentrum für Frauen,
wo wir über unsere Probleme sprechen und in einen gesellschaftlichen
Zusammenhang stellen können. Wo wir Kinderbetreuung und Einkauf
kollektiv organisieren können, um Zeit und Energie freizusetzen.
Wo wir Aktionen gegen Frauenunterdrückung entwickeln können.
(...).(2)
Als es Anfang der achtziger Jahre im Zusammenhang mit Jugendrebellionen
in verschiedenen Großstädten Westeuropas zu einer zweiten
Häuserkampfbewegung kam, erlangten die Forderungen nach autonomen
Zentren und selbstbestimmten Wohnraum eine neue Bedeutung. So entwickelte
sich beispielsweise in Zürich über die Auseinandersetzung
um ein autonomes Jugendzentrum eine Jugendbewegung, die mit symbolhaften
Forderungen wie Weg mit dem Packeis die gesellschaftlichen
Verhältnisse grundsätzlich in Frage stellte. In Amsterdam
erlangte die Kraaker-Bewegung eine neue Stärke und verteidigte
militant besetzte Häuser. Gleichzeitig waren in West-Berlin,
wo es im Zusammenhang mit Räumungen und Repressionsmaßnahmen
mehrfach zu bürgerkriegsähnlichen Straßenschlachten
kam, zeitweise rund 150 Häuser besetzt.
Die Staatsorgane verfolgten meist langfristig eine Doppelstrategie.
Anfangs wurde versucht die Bewegungen über Repressionsmaßnahmen
zu zerschlagen. Als dies nicht gelang wurde eine Politik eingeschränkter
Zugeständnisse eingeleitet. Die Bewegungen sollten dadurch
geschwächt und langsam integriert bzw. im Innern in spaltende
Widersprüche verstrickt werden, was auch vielfach gelang. In
dieser Strategie spiegelt sich das sozialdemokratische Modell der
Integration, in dessen Rahmen Reformen bzw. kosmetische Veränderungen
die Funktion haben, die bestehenden Herrschaftsverhältnisse
in ihren Grundlagen zu stabilisieren. Durch die relative Stärke
der autonomen Bewegung, in der anarchistische, kommunistische und
feministische Grundgedanken miteinander verbunden wurden, gelang
es jedoch in der BRD auch in den Jahren nach dem Höhepunkt
der Häuserkämpfe vor allem in den Großstädten
Freiräume in Form autonomer Zentren durchzusetzen. Die Zentren
wurden zu einem entscheidenden Faktor für eine gewisse Stabilität
und Kontinuität, sowie trotz aller Rückschläge für
eine innere Entwicklung der Bewegung, die bewusst auf traditionelle,
hierarchische Organisationsformen verzichtete.
Auch wenn einige Zentren über einen längeren Zeitraum
gehalten oder gar legalisiert wurden, so ist die vorherrschende
Politik bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt im wesentlichen an
der Zerschlagung von gegenkulturellen Freiräumen und Lebenszusammenhängen
ausgerichtet. Deutlich wird dabei immer wieder, dass sich die bestehenden
gesellschaftlichen Widersprüche nur begrenzt verschleiern lassen.
Zwangsläufig bricht überall dort, wo sich Menschen der
Verwertung durch das System verweigern die Fassade der bürgerlichen
Gesellschaft auf.
ENTWICKLUNGEN IN HANAU
Auch in Hanau bildete die APO einen entscheidenden Ausgangspunkt
für eine Vielzahl von Entwicklungen. In den siebziger Jahren
entstand in Zusammenhang mit deren Ausläufern die Jugendzentrumsbewegung,
die auch in Hanau ihren Niederschlag fand. Dort gab es wie in vielen
anderen Städten zu dieser Zeit keine oder nur sehr eingeschränkt
öffentliche nichtkommerzielle Räumlichkeiten in denen
es möglich war, sich zu treffen und eigene Vorstellungen umzusetzen.
Einige linke Gruppen griffen in Hanau diesen Misstand auf und leiteten
daraus die Forderung nach einem selbstverwalteten Jugendzentrum
ab. Um dem politischen Druck einen Teil seiner Kraft zu nehmen,
reagierte der Hanauer Magistrat in der Mitte der siebziger Jahre
mit der Einrichtung des Hans-Böckler-Hauses. Dieses basierte
jedoch nicht auf dem Prinzip der Selbstverwaltung, es stand vielmehr
entgegen den Forderungen unter städtischer Aufsicht und wurde
entsprechend auch nie wirklich angenommen.
Ende 1976 folgte unabhängig von städtischen Einrichtungen
die Anmietung von Räumen in der Friedrich-Ebert-Anlage 4, in
denen das Kommunikationszentrum (KOZ) eingerichtet wurde. Dieses
entwickelte sich schnell zum Bezugspunkt der linken Szene und prägte
diese über Jahre hinweg. Eine Vielzahl politischer und kultureller
Initiativen und Projekte gingen vom KOZ aus bzw. konnten sich erst
dort entwickeln und entfalten. Ein damaliger KOZ-Aktivist beschrieb
dessen Bedeutung wie folgt: Dem KOZ kommt neben der Bereitstellung
von (Frei-) Räumen für einzelne Gruppen und Initiativen
die Funktion zu, und die hat es in den letzten vier Jahren mehr
recht als schlecht erfüllt, Denkanstöße für
die Ursachen der individuellen Probleme zu geben, Möglichkeiten
der politischen Selbstbestimmung aufzuzeigen, Perspektiven für
den Kampf zu diskutieren, Möglichkeiten anderer Organisationsformen
(als bürgerliche) Lebensperspektiven aufzuzeigen... Kurz, eine
Fundamentalopposition zu schaffen.(3)
1979 mietete eine kleine Gruppe aus der alternativen Szene den
ehemaligen Gasthof Krone in Hanau-Mittelbuchen. Die Absicht der
MieterInnen war es gleichermaßen eine Kneipe als Treffpunkt
für die linke Szene einzurichten wie auch die AnwohnerInnen
anzusprechen. Über eine Vielzahl breitgefächerter Angebote
und Veranstaltungen (vom Frühschoppen über die Kaninchenaustellung
bis zum Rockkonzert) erhielt die Krone eine überregionale
Bedeutung. Unter maßgeblicher Vermittlung eines ehemaligen
SPD-Landrates kündigten jedoch die formellen BesitzerInnen
den Mietvertrag und verkauften das Gebäude an die HL-Kette.
Um deren Plänen, die Krone abzureißen und einen Supermarkt
zu errichten, entgegen zu treten, wurde die Krone nach Ablauf des
Vertrages besetzt. In einem Flugblatt hieß es dazu: Zur
Zeit wohnen etwa 40 Leute in der Krone, die jeden Abend von vielen
Interessierten besucht wird. In mehr oder weniger regelmäßigen
Abständen werden Vollversammlungen einberufen auf denen das
weitere Vorgehen, die Programmgestaltung etc. besprochen werden.
An den öffentlichen Versammlungen nehmen bis zu 150 Aktive
teil. Jeder hat ein Mitspracherecht. Beschlüsse werden ausführlich
diskutiert und abgestimmt. Für die Ausarbeitung der sich ergebenden
Probleme bilden sich Arbeitsgruppen.(4)
Der Versuch im Rahmen der besetzten Krone eine Verbindung von Wohnen,
Arbeiten und Leben(5) zu verwirklichen wurde nach acht Wochen
beendet. Im März 1980 kam es zu einer polizeilichen Räumung,
welcher der sofortige Abriss des Gebäudes folgte. Für
die BesetzerInnen und deren UnterstützerInnen war dies jedoch
nicht der Endpunkt der Entwicklungen: Uns war klar, dass mit
dem Abriss der Krone unsere Ideen, Träume, Wünsche, Phantasien
und auch unser Mut in der Tradition der Krone weiterzumachen nicht
zu brechen sind.(6)
Nachdem der Hanauer Magistrat lange versuchte seine Verantwortung
für die Entwicklungen zu verschleiern, gab er scheinbar nach
der Räumung dem öffentlichen Druck nach und stellte unter
bestimmten Bedingungen, zu denen die Gründung eines Vereins
gehörte, den Gebäudekomplex Pumpstation als Zentrum in
Aussicht. An diesem Punkt wurden die verschiedenen Einschätzungen
der an der Krone-Bewegung beteiligten Gruppen deutlich. Ein Teil
ließ sich auf die Forderungen des Magistrates ein und gründete
einen Trägerverein für ein selbstverwaltetes Kulturzentrum
Pumpstation. VertreterInnen eines radikaleren Weges kritisierten
dagegen dieses Vorgehen als Anpassung und Integration. Vor dem Hintergrund
der Erfahrungen aus der Jugendzentrumsbewegung wurde das Konzept
der Selbstverwaltung scharf angegriffen: Wir wollen uns doch
nicht verwalten! Wir wollen uns verwirklichen! Selber bestimmen,
wie wir leben und miteinander umgehen!(7)
Die gegensätzlichen Positionen waren Ausdruck grundsätzlich
unterschiedlicher Vorstellungen über die Wege gesellschaftlicher
Veränderung, die zwar schon zuvor unterschwellig gegeben waren,
aber nun deutlich zum Ausdruck kamen und zur Entwicklung zweier
politischer Wege führten. Hierbei spiegelten sich die Diskussionen,
die zu dieser Zeit die politische Linke in der Bundesrepublik prägte
und spaltete. Besonders deutlich kam sie in der unterschiedlichen
Einschätzung der Grünen zum Ausdruck, die je nach Position
als Möglichkeit schrittweiser Veränderungen befürwortet
oder als Mittel der Verschleierung bestehender gesellschaftlicher
Widersprüche abgelehnt wurde. Einen gewissermaßen dritten
Weg gingen in Hanau diejenigen, die sich nach der Krone-Bewegung
aus den politischen Zusammenhängen völlig in das Privatleben
zurückzogen.
Der gemäßigte Flügel der ehemaligen Krone-Bewegung
konzentrierte sich letztlich auf Projekte wie den Pumpstation-Verein
oder auf die Parteiarbeit der Grünen. Damit verbunden war eine
Entwicklung, die von dem Konzept des gegenkulturellen Widerstandes
zu einer alternativen Kultur mit wachsend kommerziellem Einschlag
führte. Ein konkretes Beispiel für diese Entwicklungen
war das Pumpstationfest bzw. der daraus entstandene Kultrubel. Ursprünglich
wurde das Fest von fast allen linken Gruppen getragen und unterstützt,
doch zunehmend erhielt es einen kommerziellen Charakter mit alternativem
Anstrich. Die Informationsstände wichen Verkaufsständen,
die eingeladenen Musikbands wurden unpolitischer und der ursprüngliche
Grundgedanke, mit dem Fest die Forderung nach einem Zentrum zu unterstützen,
trat in den Hintergrund bis er fast völlig verschwand. Die
Gruppen, welche diese Entwicklung kritisierten, waren allerdings
selbst auch nur eingeschränkt bereit durch das aktive Einbringen
eigener Inhalte ein angemessenes Gegengewicht zu schaffen. Sie zogen
sich vielmehr langfristig zurück bzw. konzentrierten sich auf
andere Projekte.
Im Dezember 1980 organisierte die Lokalredaktion der Frankfurter
Rundschau ein Diskussionsforum unter dem ironisch formulierten Titel: Kulturzentrum Pumpstation - 1981 oder 1991?. Oberbürgermeister
Martin stellte dabei erneut die Pumpstation in Aussicht und kündigte
an 30.000 DM für Planungen zur Verfügung zu stellen. Die
FR schrieb dazu: Viele Diskussionsredner artikulierten indes
ihr Misstrauen gegenüber den Kommunalpolitikern. Die Sorge,
es handle sich womöglich um den Versuch, die Initiative mit
Vertröstungen abzuspeisen, wurde oft formuliert. Oberbürgermeister
Martin hielt, leicht ironisch, dagegen: Sie sollten uns ausnahmsweise
mal vertrauen.(8) Diejenigen, die dem Oberbürgermeister
bzw. der SPD damals tatsächlich vertrauten warten auch heute
noch auf eine Umsetzung dieser Versprechungen.
Die Jahre nach der Krone waren bestimmt von einer Hinhalte- und
Verschleppungspolitik in Bezug auf die Pumpstation. Der Pumpstationsverein
konnte dieser Politik nichts entgegensetzen, er war von einer zu
naiven Einschätzung der Magistratspolitik geprägt. Zudem
fehlte ihm eine breite Unterstützung und der damit verbundene
Druck der Straße wie er für die Kronebewegung
charakteristisch war. Nach der weitgehenden Niederlage der Krone-Bewegung
und den zwiespältigen Bemühungen in Bezug auf die Pumpstation
trat die Forderung nach einem Zentrum wieder in den Hintergrund.
Um der Forderung nach bezahlbaren Wohnraum Nachdruck zu verleihen
kam es zur Besetzung einer Wohnung in der Julius-Leber-Straße
und zur Gründung des Mieterrates, dessen Aktivitäten allerdings
nach einer aktiven Phase beständig nachließen. Die Mietverträge
des KOZ wurden Anfang 1981 auf Druck der Stadt gekündigt, wobei
interne Problematiken bewirkten, dass dies ohne größeren
Widerstand hingenommen wurde und lange Zeit auf eigene Räumlichkeiten
verzichtet wurde. Bestehen bliebt das Autonome Plenum als Diskussionsforum
und Ausgangspunkt verschiedener Aktionen, welches sich in wechselnder
Besetzung in privaten und angemieteten Räumen traf.
DIE METZGERSTRASSE ALS FREIRAUM
Innerhalb des Autonomen Plenums entstanden dann die Überlegungen
im Dezember 1986 die Metzgerstraße 8 zu besetzen um dort ein
Autonomes Kulturzentrum zu errichten. Nachdem die Versuche entsprechende
Räumlichkeiten zu mieten zuvor gescheitert waren, wurde ein
seit langem leerstehendes Haus in der Metzgerstraße, der ehemalige
Nachtclub Moulin Rouge, besetzt. Dem formellen Hausbesitzer
ging gleichzeitig ein Mietangebot zu, welches er zurückwies.
Aus rechtlichen und finanziellen Gründen ließ er das
Haus jedoch auch nicht räumen.
Mit dem Einzug in die Metzgerstraße stellten die BesetzerInnen
das bestehende Eigentumsrecht grundsätzlich in Frage und nahmen
für sich das Recht in Anspruch sich zu nehmen was uns
gehört(9). Wie bei vielen Hausbesetzungen zuvor wurde
in diesem Sinne aus Bertolt Brechts Resolution der Kommunarden
zitiert: In Erwägung, dass da Häuser leer stehen,
während ihr uns ohne Bleibe lasst, haben wir beschlossen jetzt
dort einzuziehen weil es uns in unseren Löchern nicht mehr
passt!(10)
Das Ziel der Besetzung war es, einen Freiraum zu schaffen in
dem die Vorstellung einer autonomen Kultur und die Wiederaneignung
des entfremdeten Alltages umsetzbar wird, in dem solidarisches Handeln,
kollektives Leben und politische Identität miteinander verschmelzen.
Oder anders ausgedrückt, ein Freiraum in dem eine Verbindung
von Leben, Lachen, Lieben, Kämpfen(11) in einer
neuen Qualität verwirklichbar ist. Programmatisch hieß
es in einem der ersten Flugblätter: Wir haben fantasievollere
Vorstellungen von gesellschaftlicher Kommunikation als in der Kneipe
abzuhängen, isoliert in der Disco zu stehen oder vor der Glotze
zu verblöden. Unser Programm wird von uns selbst bestimmt und
nicht vom Kommerz.(12) Entsprechend lassen sich die Besetzung
und die folgenden Auseinandersetzungen zwischen den BesetzerInnen
und dem Magistrat keineswegs auf einen vorgeblichen Generationskonflikt
reduzieren, wie es teilweise die lokale Presse tat. Es ging vielmehr
einmal mehr um den Gegensatz zwischen den Ansätzen eines selbstbestimmten
Lebens und den herrschenden Strukturen.
Im Stadtteil wurde die Besetzung von der Bevölkerung erwartungsgemäß
sehr unterschiedlich aufgenommen. Der älteren Frau aus dem
Nachbarhaus, die einen Topf mit Suppe vorbeibrachte, stand beispielsweise
der Familienvater gegenüber, der die BesetzerInnen als arbeitsscheues
Gesindel bezeichnete. Viel Unverständnis gab es in den
folgenden Jahren in Zusammenhang mit den bunt besprühten und
bemaltem Wänden des Zentrums. Zwangsläufig erweckt in
einer Stadt, in der die Fassaden der Häuser zumeist genauso
grau sind wie das Leben ihrer BewohnerInnen, eine solche Gestaltung
Ablehnung und Unverständnis. Die BesetzerInnen sehen jedoch,
bei aller internen Kritik an einzelnen Motiven, in der Gestaltung
auch einen Ausdruck ihrer eigenen, den herrschenden Konventionen
widersprechenden, Lebenseinstellung.
Dieser äußerliche Konflikt macht deutlich wie unterschiedlich
oftmals die Lebenseinstellungen der BesetzerInnen und der AnwohnerInnen
sind. Gelegentliche Versuche Barrieren zum Beispiel über Straßenfeste
abzubauen waren nur bedingt erfolgreich. Die Prozesse der Solidarisierung
fanden vielmehr über den Stadtteil hinausgehend über einzelne
langfristige Projekte statt, so unter anderem über vielfältige
soziale und politische Informationsangebote, über verschiedene
Aktionen oder auch über die zahlreichen Konzerte.
Die Gruppe der BesetzerInnen war von ihren Anfängen an keineswegs
einheitlich und geschlossen, sie ist vielmehr bis heute von vielfältigen
Meinungen und Ansätzen geprägt, denen aber durchgehend
das Bedürfnis nach einem Leben zu Grunde liegt, welches auf
Autonomie, Gleichberechtigung und Solidarität basiert. Die
Vielfalt und Verschiedenheit der Beteiligten ist dabei zweifellos
eine Stärke, die aber oft auch unter anderem in Form zäher
Diskussionsprozesse einen negativen Niederschlag findet. Das Konzept
des Freiraums darf dabei nicht als Möglichkeit missverstanden
werden, die eigenen Bedürfnisse uneingeschränkt ausleben
zu können, es setzt vielmehr die Bereitschaft zu einem verantwortlichen
und verbindlichen Handeln auf der Grundlage gemeinschaftlicher Entscheidungen
und Zielsetzungen voraus.
Das entscheidende Gremium ist der BesetzerInnenrat, an dem alle
teilnehmen können, die ein konstruktives Interesse an dem Kulturzentrum
Metzgerstraße als Freiraum haben bzw. in ihm aktiv sind. Entscheidungen
werden nach dem Konsensprinzip getroffen, wobei im Zusammenhang
mit strittigen Fragen nach einer Lösung gesucht wird, die für
alle vertretbar ist. Einen Vorstand oder vergleichbares gibt es
nicht. Die Projekte und Initiativen, die sich im Zentrum entwickelten,
wurzeln in den Bedürfnissen und Erfahrungen der Beteiligten.
Sie können in der bestehenden Form der Freiwilligkeit auch
nur existieren weil sie aus sich heraus wirken. Aufgesetzte Veranstaltungen
oder Projekte sind zwangsläufig zum Scheitern verurteilt.
Für alle Bereiche innerhalb der Metzgerstraße gilt,
dass dem Selbstverständnis des Zentrums zufolge dem Prinzip
der Kontrolle das Prinzip des Vertrauens und der Verantwortung gegenübergestellt
wird, dem Prinzip der Unterordnung die Gleichberechtigung und die
Autonomie, der Konsumhaltung die Eigeninitiative und dem Profitdenken
die Nichtkommerzialität.(13) Die Veranstaltungen werden
von Personen aus dem Zentrum bzw. aus dem Umfeld selbst organisiert.
Mit Ausnahme der Konzerte, bei denen ein Selbstkostenbeitrag erhoben
wird, sind die Veranstaltungen in der Regel eintrittsfrei. Niemand
verdient an einer Tätigkeit im Zentrum. Das aktuelle Programm
erscheint neben weiteren Informationen im monatlich erscheinenden
Metzgerstraßen-Info.
GRUPPEN UND PROJEKTE
Die Frauengruppen in der Metzgerstraße durchliefen viele
Höhen und Tiefen. Themen waren immer wieder der Sexismus innerhalb
der Szene genauso wie die grundlegenden patriarchalen Strukturen
der Gesellschaft. Die Gruppen bzw. die zeitweise eingerichteten
Frauentage, an denen nur Frauen in die Metzgerstaße kommen
konnten, sollen eine Atmosphäre gewähren, in der ein Erfahrungsaustausch
und eine Auseinandersetzung möglich ist, die nicht wie viele
gemischt-geschlechtliche Veranstaltungen und Treffen von (subtiler)
männlicher Dominanz geprägt ist. Langfristig sollten die
Frauengruppen dazu beitragen eine innere Stärke unter den Frauen
zu entwickeln und darüber hinaus gemeinsame Perspektiven und
Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen.
Zu den herausragenden Aktivitäten gehörte im März
1990 die Organisation einer Demonstration unter dem Motto Frauen
gegen Gewalt gegen Frauen. In dem Aufruf hieß es dazu:
Gewalt gegen Frauen ist überall und alltäglich und
tritt in vielfältigen, offenen und verdeckten Formen auf. Gewalt
wird von Männern - auch von linken Männern - ausgeübt,
weil sie in unserer Gesellschaft die Macht haben, Frauen zu unterdrücken
und zu missbrauchen: in Form von sprachlicher Gewalt; in Form von
körperlicher Gewalt wie Angrapschen, sexuellem Missbrauch von
Mädchen oder Vergewaltigung; in Form eines Frauenbildes, das
Frauen als sexuelle Objekte abstempelt; in Form von Sextourismus
und Frauenhandel; in Form einer Erziehung, die Mädchen passiv,
verständnisvoll, rücksichtsvoll, sanft, ... zu sein zwingt.(14)
1987 wurde in der Metzgerstraße von einer autonomen Gruppe
das Erwerbslosen- und JobberInnen-Cafe gegründet. Es wurzelte
in der Erkenntnis, dass die Probleme auf dem Sozialamt und in den
verschiedenen Arbeitsverhältnissen bzw. generell in der Beschaffung
des nötigen Lebensunterhaltes keine individuellen sondern gesellschaftliche
sind. Entsprechend soll das Cafe zum Kennenlernen und zur Beratung
dienen, sowie ermöglichen Informationen auszutauschen, Berührungspunkte
zu entwickeln und eine Selbstorganisierung anzuregen.
Um diesen Ansatz nicht nur auf die Szene zu beschränken bzw.
um noch offensiver zu werden, wurde über Jahre hinweg das Basta-Info
herausgegeben und unter anderem auf dem Sozialamt verteilt. Das
Info erschien meist zu einem Schwerpunktthema, welches in einen
allgemein politischen und einen praktischen Teil untergliedert war.
So befanden sich darin zum Beispiel Hinweise zum Kleidergeld oder
zum Widerspruchsrecht. 1992 wurde zudem ein mehrsprachiger Flüchtlingsleitfaden
veröffentlicht. Grundlegendes Ziel der Aktivitäten der
Basta-Gruppe war es, für jede Person ein Grundeinkommen zu
ermöglichen um darüber unter anderem den Zwang zur entfremdeten
Arbeit zu mildern. Dies wurde allerdings nur als ein erster Schritt
auf dem Weg zu einem menschenwürdigen Leben verstanden. Wichtig
war der Gruppe darüber hinaus der Bezug auf internationale
Befreiungskämpfe, den Befreiung kann allein als weltweiter,
gleichzeitiger Prozess entfaltet werden.(15)
Anfangs versuchte der Magistrat bzw. die verschiedenen Behörden
die Verteilung des Infos auf dem Sozialamt polizeilich zu verhindern.
Nachdem diesen jedoch klar wurde, dass sich die Basta-Gruppe davon
nicht einschüchtern ließ und die Unterstützung gleichzeitig
wuchs, wurden die Behinderungen eingestellt und die bereits erstatteten
Anzeigen zurückgezogen. Langfristig konnte die Basta-Gruppe
jedoch ihr Ziel, zu einer wachsenden Solidarisierung bis hin zu
einer poltischen Organisierung beizutragen, nur sehr eingeschränkt
umsetzen.
Zumindest an einem Abend in der Woche gibt es bis heute die sogenannte
Volxküche in der ein vegetarisches warmes Essen zu einem kostendeckenden
Preis angeboten wird, wobei das Essen selbst so unterschiedlich
ist wie die KöchInnen. Zu den Grundgedanken gehört es,
dass über das gemeinschaftliche Beisammensein ein Stück
weit die Vereinzelung und die Isolation untereinander aufgebrochen
bzw. weitmöglichst aufgehoben wird. Ein weiterer Ausgangspunkt
ist die Überwindung der oftmals noch immer bestehenden patriarchalen
Rollenaufteilung im Bereich der Küche indem jede und jeder
gleichermaßen Verantwortung übernimmt.
Ein wesentlicher Bestandteil des Zentrum ist die antifaschistische
Arbeit, die sich gegen jegliche faschistischen und rassistischen
Tendenzen richtet, sei es nun hinsichtlich neonazistischer Gruppen
oder staatlicher Verordnungen zum Beispiel gegenüber MigrantInnen.
Entsprechung bildet die bundesweite Kampagne Kein Mensch ist
illegal einen zentralen Bezugspunkt. Diese fordert unter anderem
dazu auf Flüchtlinge und MigrantInnen unabhängig
von ihrem Aufenthaltsstatus bei der Ein- oder Weiterreise zu unterstützen,
Arbeit und Papiere zu verschaffen, medizinische Versorgung, Schule
und Ausbildung, Unterkunft und materielles Überleben zu gewährleisten.(16)
Darüber hinaus hat die Zusammenarbeit mit Organisationen von
Flüchtlingen und MigrantInnen in der Metzgerstraße eine
lange Tradition. Immer wieder kam es zu gemeinsamen Aktionen und
Veranstaltungen, zudem werden den Gruppen Räumlichkeiten zur
Verfügung gestellt.
Mehrfach organisierte das Zentrum zusammen mit kurdischen und türkischen
Gruppen das Internationalen Kulturfest bei dem Folklore-, Musik-
und Theatergruppen auftraten. Daneben gab besondere Angebote für
Kinder, Diavorträge und zahlreiche Informationsangebote. Verbindender
Grundgedanke war die Solidarität mit allen Menschen,
die gegen ihre Unterdrückung kämpfen oder auf der Flucht
hier stranden(17), wobei insbesondere auf den Befreiungskampf
in Kurdistan eingegangen wurde.
Seit Januar 1989 besteht in der Metzgerstraße ein Infoladen,
der zum Ziel hat über Ereignisse und Entwicklungen bzw. die
entsprechenden Hintergründe zu informieren, die in den bürgerlichen
Medien nicht oder nur am Rande Erwähnung finden. Materialien
und Informationen unter anderem zu Stichworten wie Antifaschismus,
Atompolitik, Autonome Bewegung, Frauenbewegung und Internationales
werden im Rahmen eines Archivs zur Verfügung gestellt. Zudem
besteht eine Leihbücherei mit Sachbüchern, Literatur und
Zeitschriften.
Musik hatte von Anfang an in der Metzgerstraße eine besondere
Bedeutung. Über das Musikhören hinaus machen viele Personen
selbst Musik, veröffentlichen eigene Aufnahmen oder organisieren
Konzerte. Diese werden in der Regel im direkten Kontakt mit den
MusikerInnen ohne Konzertagenturen und auch ohne Verträge organisiert.
Neben der inhaltlichen Akzeptanz ist ein gewisses solidarisches
Verhältnis der MusikerInnen zur Metzgerstraße Voraussetzung,
was sich unter anderem auch in der Gage ausdrückt, die sich
zumeist auf die für die Band entstandenen Unkosten und die
Verpflegung beschränkt. Der Eintrittspreis ist so ausgerichtet,
dass er die anfallenden Kosten deckt bzw. im Rahmen von Benefiz-Konzerten
bestimmte Projekte unterstützt. Lange überschritt er nie
fünf DM, erst im Verlauf der neunziger Jahre kam es auf Grund
der allgemein gestiegenen Kosten zu einer geringfügigen Erhöhung.
Zu den Konzerten kommen im Durchschnitt zwischen 20 und 120 ZuschauerInnen,
teilweise gab es Auftritte mit bis zu 200, in einigen besonderen
Fällen sogar bis zu 300 Gästen. Die musikalische Bandbreite
umfasst unter anderem Rockmusik in den verschiedensten Schattierungen,
Punk, Hardcore, Folk, Jazz und improvisierte Musik. Lokale Nachwuchsbands
traten im Laufe der Jahre genauso auf wie renommierte Gruppen aus
unterschiedlichsten Ländern. Geradezu Kultcharakter erlangten
zudem die Nachtcafe-Sessions, an denen jeder und jede teilnehmen
konnte und bei denen die Vielfalt der Instrumente bis zu Gläsern
und Mülleimern reichte. Die Aufnahmen einiger Konzerte wurden
später auf verschiedenen Tonträgern veröffentlicht.
1992 kam es daneben zur Veröffentlichung eines der Metzgerstraße
gewidmeten Stücks des Avantgarde-Komponisten John Cage, welches
in Zusammenarbeit mit dem KomistA-Projekt realisiert wurde.(18)
Beständig organisieren einzelne Personen oder Gruppen Informations-
und Diskussionsveranstaltungen. Teilweise werden zu bestimmten Themen
Gäste eingeladen, Referate gehalten, Dias gezeigt oder Filme
vorgeführt, um danach, von einem angeglichenen Wissensstand
ausgehend, zu diskutieren. Eine Vielzahl von Veranstaltungen bezog
sich auf Befreiungskämpfe in einzelnen Ländern und Regionen.
Eine zentrale Bedeutung haben zudem die Aktivitäten und Kampagnen
gegen die sogenannte Globalisierung in ihren unterschiedlichsten
Ausformungen eingenommen. Hinzu kommen eine unüberschaubare
Reihe weiterer Initiativen und Angebote, die im Laufe der Jahre
ihren Platz fanden und zum Teil noch immer haben. Dazu gehören
unter anderem Fahrradworkshops, Filmabende, Kleidertauschtreffen,
Lesungen, Spiel- und Kneipenabende, sportliche Aktivitäten,
das Nachtcafe und die Volxtanz-Discos.
INNERE WIDERSPRÜCHE
In fast allen gesellschaftlichen Bereichen besteht der Zwang sich
unterzuordnen, anzupassen und zu einem funktionierenden Rädchen
zu werden, ohne den eigenen Lebensweg wirklich selbst bestimmten
zu können. Allgegenwärtig prägen grundlegende autoritäre
Strukturen den Alltag. Entsprechend schwer ist es, sich dem Vorgegebenen
zu verweigern, selbst aktiv zu werden, eigene Interessen und Bedürfnisse
zu erkennen und in einen gemeinschaftlichen Zusammenhang zu stellen.
Zwangsläufig ist auch das Kulturzentrum Metzgerstraße
als Bestandteil der bestehenden Gesellschaft von den entsprechenden
Widersprüchen geprägt. Bei allen positiven Entwicklungen
dürfen gerade die inneren Konflikte nicht verharmlost werden,
den zu oft wird die unabdingbare Wechselwirkung zwischen äußerer
und innerer Veränderung ignoriert und über die Betonung
der Auseinandersetzung mit den herrschenden Verhältnissen die
notwendige Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit
vernachlässigt. Auch in der Metzgerstraße gibt es entgegen
der Ansprüche egoistische Verhaltensweisen, es gibt Profilierungssucht,
Konkurrenzdenken und subtile Hierarchien. Immer wieder kommt es
zu engstirnigen Fraktionierungen und an manchen Punkten drückt
sich eine fehlende Verbindlichkeit, sowie ein konsumbestimmtes und
verantwortungsloses Verhältnis zum Zentrum aus, wobei schon
mehrfach das Zentrum als Freiraum von einzelnen Personen durch Diebstähle
materiell ausgenutzt wurde.
Ein zentraler Konfliktpunkte ist über die Jahre hinweg immer
wieder das Verhältnis der Geschlechter bzw. die Kritik von
Frauen an sexistischen Verhaltensweisen und Strukturen. Ein weiter
Aspekt der zum Teil zu Kontroversen führte waren Konflikte
mit neu in das Zentrum gekommenen jüngeren Leuten und Gruppen
bzw. der Übergang zwischen verschiedenen BesetzerInnen-Generationen.
Weitere Stichpunkte sind in unterschiedlicher Wertigkeit unter anderem
der Umgang mit legalen und illegalen Drogen, der Verzehr von Fleisch,
die kaum vorhandenen Auseinandersetzungen über Beziehungsformen
und Sexualität, das oftmals nur eingeschränkte ganzheitliche
Lebensverständnis und das unzureichende ökologische Bewusstsein.
Teilweise fehlt der Blick über die eigene Szene hinaus, wobei
in Folge das Auftreten der BesetzerInnen gegenüber Außenstehenden
von diesen nicht selten als arrogant und abweisend empfunden wird.
All diese Erscheinungen zeigen auch wie sehr bestimmte Eigenschaften
von frühester Kindheit an aufgezwungen und verinnerlicht wurden.
Dieser Zustand lässt sich nicht in kurzer Zeit überwinden,
es Bedarf vielmehr eines langen Prozesses in dem die ständige
Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit und den umgebenden
Strukturen eine wesentliche Rolle einnimmt. In vielen Fällen
werden jedoch bestimmte Verhaltensweisen von einzelnen Personen
zwar theoretisch abgelehnt, sie sind aber nicht bereit dies praktisch
umzusetzen, weil dies eine kraftzehrende und oftmals schmerzhafte
Veränderung der eigenen Persönlichkeit voraussetzen würde.
An diesem Punkt wird dann zumeist deutlich, ob die vorgegebene Haltung
auf einer tieferen Überzeugung basiert oder nur eine Fassade
ist hinter der die eigene Unwilligkeit und nicht etwa Unfähigkeit
verborgen wird.
KULTUR UND GEGENKULTUR
Trotz aller Widerstände und Widersprüche steht das Autonome
Kulturzentrum Metzgerstraße bis heute für die Möglichkeit
und die Notwendigkeit eines eigenständigen Weges. Es gelang
eine Kultur zu entwickeln, die von den Beteiligten gemeinschaftlich
ohne hierarchischen Strukturen selbst bestimmt wird. Dem Hanauer
Magistrat war das Kulturverständnis des Zentrums von Anfang
an ein Dorn im Auge. Die VertreterInnen des SPD-Innenstadt-Verbandes
sprachen vom Schandfleck, der beseitigt werden muss.
Daneben betonten der damalige Oberbürgermeister und insbesondere
sein Kulturdezernent mehrfach, dass im Zentrum keine Kultur statt
fände bzw. dass das besetzte Haus kein kultureller Treffpunkt
sei.(19) Diesen Vorstellungen entsprechend wurde ein Bebauungsplan
erstellt, der vorsieht das Zentrum ersatzlos abzureißen und
an dessen Stelle fünf Parkplätze zu errichten. Ein Vorhaben
dessen Symbolcharakter kaum zu überbieten ist.
Der Plan fiel VertreterInnen des Kulturzentrums im Oktober 1988
während des Besuches einer Stadtverordnetenversammlung, bei
der unter anderem über das Kulturzentrum gesprochen wurde,
und der folgenden Besetzung des Sitzungssaales in die Hände.
Nur wenige Minuten vor dem erzwungenen Abbruch der Sitzung hatte
der Baudezernent erklärt, dass keine Planungen bestehen würden.
Einige Meter hinter ihm hingen jedoch dekorativ einige Bebauungspläne
unter denen sich wohl aus überheblicher Unachtsamkeit auch
der Abrissplan für das Kulturzentrum befand, und entlarvten
so seine Aussagen als blanke Lüge.
Im März 1990 kam es dann zu einer weiteren Besetzung des Stadtparlamentes,
die aber nicht die Annahme des Abrissplanes verhindern konnte. Die
meisten Stadtverordneten verließen empört den Saal, als
die Metzgerstraßen-Gruppe unter Einsatz von Trillerpfeifen,
Rasseln, Flaschen und eines Lachsacks ohrenbetäubenden Lärm
entfachte. Als die Stadtverordneten zurückkehrten, um die Abstimmung
in einem zweiten, diesmal energischeren Anlauf abzuhalten, versuchten
die Besetzer dies abermals Helau rufend und Konfetti werfend zu
sabotieren.(20) Der Magistrat revanchierte sich später
mit Strafanzeigen gegen einige der ParlamentsbesetzerInnen.
In dem 1992 folgenden Prozess nahmen die Angeklagten in einer Erklärung
zu den Vorwürfen Stellung und verwiesen auf die eigentlichen
Ursachen der Auseinandersetzungen: Im Grunde müssten
hier auf der Anklagebank diejenigen sitzen, die für den Abrissplan
bzw. die entsprechende Politik verantwortlich sind. Denn tatsächlich
schuldig sind nicht die, die sich gegen Missstände wehren,
sondern die, die diese Missstände erzeugen. Schuldig sind nicht
die, die Häuser besetzen, um dort selbstbestimmt leben zu können,
sondern die, die Häuser leerstehen und zerfallen lassen. Schuldig
sind nicht die, die sich verweigern, Widerstand leisten und für
grundsätzliche Veränderung kämpfen, sondern die,
die für die Unterdrückung, Ausbeutung und Zerstörung
von Mensch und Natur verantwortlich sind.(21)
Vor dem Hintergrund der durch den SPD-geführten Magistrat
umgesetzten Kulturpolitik wirkt die folgende, in unterschiedlichen
Formulierungen alljährlich wiederkehrende Aussage aus einem
SPD-Wahlprogramm gleichermaßen lächerlich wie zutiefst
zynisch: Wir gehen dem Gespräch mit der Jugend nicht
aus dem Weg, wenn es anfängt unbequem zu werden. Der Wunsch
der Jugendlichen, ihre Einrichtungen nach den eigenen Vorstellungen
zu gestalten und zu führen, soll so weit wie möglich respektiert
werden... (22) Im krassen Gegensatz zu solchen Wahlversprechen
war die Jugendpolitik in Hanau über Jahre hinweg zum einen
von einer Abriss und Verschleppungspolitik gekennzeichnet, wie die
Beispiele Krone und Pumpstation nachhaltig belegen, zum anderen
aber auch von äußerst kostspieligen Planungen für
Prestigeprojekte.
Als ob nicht offensichtlich ist, welche Missstände in Hanau
bestehen, beauftragte der damalige Kulturdezernent Anfang der neunziger
Jahre eine ehemalige Schülerin von ihm für ein Honorar
von 40.000 DM die kulturelle Situation in Hanau zu analysieren und
einen kulturellen Entwicklungsplan auszuarbeiten, wobei
das Kulturzentrum Metzgerstraße selbstverständlich nicht
berücksichtigt wurde. Bis heute hat sich die städtische
Kulturpolitik erwartungsgemäß auch nach der Veränderung
der Mehrheiten zugunsten der CDU nicht wesentlich gewandelt. Charakteristisch
ist weiterhin die Fokussierung auf kostenverschlingende Großprojekte
wie ein Kongreßzentrum und die Landesgartenschau.
Inzwischen hat das autonome Kulturzentrum mehrere BürgermeisterInnen
und Kulturdezernenten überlebt. Auch wenn der Abrissplan weiter
besteht, lassen verschiedene Faktoren erwarten, dass der Magistrat
auch weiterhin das Zentrum nicht räumen bzw. abreißen
lässt. Gründe hierfür sind die unterschiedlichen
Positionen im Magistrat selbst, die nicht völlig geklärten
Eigentumsverhältnisse und das relativ positive Verhältnis
weiter Teile der Öffentlichkeit zum Zentrum. Zudem spielt sicherlich
nicht zuletzt die berechtigte Einschätzung der entscheidenden
PolitikerInnen eine Rolle, dass die BesetzerInnen und ihre UnterstützerInnen
sich einer Schließung nicht fügen werden und sich das
Image des Magistrates bzw. der Stadt bei den folgenden Auseinandersetzungen
nachhaltig verschlechtern würde.
Doch selbst wenn es einmal zu einer Räumung des Autonomen
Kulturzentrums Metzgerstraße kommt, werden die damit verbundenen
Vorstellungen weiterleben und wieder konkrete Formen annehmen. Denn
im Zusammenhang mit dem Zentrum geht es beispielhaft um die Möglichkeit
einer solidarischen Kultur und eines selbstbestimmtes Lebens - und
diese Ansätze konnten im lokalen wie im globalen Maßstab
noch nie über einen längeren Zeitraum hinweg unterdrückt
werden.
Wolfgang Sterneck, 1992 / 2003.
Anmerkungen:
(1) - Auszug eines Plakattextes. Ohne Jahres- und Ortsangabe.
(2) - Emma-Sonderband / 20 Jahre Frauenbewegung. Köln, Oktober
1991.
(3) - Hanauer Flugzeitung Nr. 21. Hanau, Dezember 1980.
(4) - Krone - Dokumentation einer Besetzung. Hanau, 1980.
(5) - Siehe (5).
(6) - Siehe (5).
(7) - Hanauer Flugzeitung Nr. 20. Hanau, November 1980.
(8) - Frankfurter Rundschau 12.12.1980.
(9) - Freiräume entwickeln. Flugblatt. In: Daily
Terror (Sonderausgabe). Hanau, 1987.
(10) - Bertolt Brecht / Die Gedichte. Frankfurt, 1981.
(11) - Siehe (11).
(12) - Metzgerstraßen-Info November 1988. Hanau.
(13) - Siehe (11).
(14) - Frauen gegen Gewalt gegen Frauen.-Aufruf zur Demonstration
am 17.3.1991 in Hanau.
(15) - Basta - Autonomer Informationsdienst Hanau. In Swing Nr 20.
Frankfurt, u.a. Juli 1991.
(16) - Kein Mensch ist illegal: www.contrast.org/borders/kein/appell.html
(17) - Flugblatt zum Internationalen Kulturfest am 22.6.1991. Hanau.
(18) - Siehe dazu: www.sterneck.net/squat/cage-projekt/index.php
(19) - Unter anderem nachzulesen in Frankfurter Allgemeine Zeitung
2.11.1988. Frankfurt.
(20) - Main Echo 28.3.1990. Offenbach.
(21) - Prozesserklärung zur Besetzung des Hanauer Stadtparlamentes
am 26.3.1990. Hanau, März 1992.
(22) - Wahlprogramm der SPD in Hanau 1986.
Ausführliche Darstellungen der einzelnen Projekte befinden
sich in der Dokumentation: Lieber ne lange Besetzung
als ne kurze Bescherung - 15 Jahre Autonomes Kulturzentrum
Metzgerstraße. Erhältlich im: Infoladen / Autonomes
Kulturzentrum, Metzgerstrasse 8, D-63450 Hanau.
- * - DAS BESETZTE AUTONOME KULTURZENTRUM
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Autonomes Kulturzentrum, Metzgerstrasse 8, D-63450 Hanau,
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