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Claus Sterneck / Claus in Iceland
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Wolfgang Sterneck
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FREIRÄUME ENTWICKELN

DAS BESETZTE AUTONOME KULTURZENTRUM
METZGERSTRASSE / HANAU

Der Traum eines anderen, eines befreiten Lebens... - Wenn er in dieser Zeit, in diesem System auch nur ansatzweise umsetzbar ist, dann in gesellschaftlichen Freiräumen, die selbstbestimmt entwickelt und oftmals gegen vielfältige Formen des äußeren Drucks durchgesetzt werden müssen.

Im Dezember 1986 kam es in Hanau zur Besetzung der Metzgerstraße 8, einem Haus, das seit mehreren Jahren leer stand. Das Gebäude wurde renoviert, neu gestaltet und wird seitdem als Autonomes Kulturzentrum genutzt. Die Besetzung war gleichermaßen Ausdruck gesellschaftlicher Widersprüche und politischen Widerstandes, wie auch eine weitere Etappe der Entwicklungen in Hanau im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um die Durchsetzung gegenkultureller Freiräume.

PERSPEKTIVEN DER VERÄNDERUNG

In einer Situation in der eine wirklich befreiende Gesellschaftsveränderung zumindest in absehbarer Zeit illusionär erscheint kann es vorrangig nur noch darum gehen, Sand und nicht Öl im Getriebe der gigantischen Mensch und Natur ausbeutenden Maschinerie zu sein. Die Hoffnung, diese als Ganze aufzuhalten, sie vielleicht sogar zu überwinden und etwas neues aufzubauen, wird wohl eine Hoffnung bleiben. Weitaus wahrscheinlicher ist es, dass sie selbst als Ergebnis der sozialen Gegensätze und langfristig insbesondere auf Grund der Zerstörung ökologischer Grundlagen ihren eigenen Untergang bewirken wird und dabei alles was sie umgibt mitreist.

Der zerstörende Charakter der gegenwärtigen Entwicklungen ist trotz der vielfältigen Ebenen der Verschleierung dermaßen offensichtlich, dass sich der daraus wachsenden Verantwortung niemand entziehen kann. Es gibt kein richtiges Leben im falschen, also keine wirklich befreite Form der Existenz unter den Bedingungen eines repressiven Systems, stellte der Sozialwissenschaftler Adorno einmal fest. Die Möglichkeit und die Notwendigkeit einer Annäherung aber besteht.

Die Praxis, die sich daraus ableitet, kann unterschiedlich ausprägt sein. Den einzig wahren Weg gibt es nicht, vielmehr sollte ein solidarisches, aber keineswegs unkritisches Verhältnis gegenüber verschiedenen Ansätzen entwickelt werden, sofern diese konsequent die vorherrschenden zerstörenden Strukturen in Frage stellen. Es bestehen gleichermaßen Situationen in denen direkte Aktionen notwendig sind, wie es zu Situationen kommen kann, in denen ein Flugblatt, ein Musikstück oder ein Gespräch wesentlich mehr bewirken. Es gibt Personen, die ihren Schwerpunkt in der inneren Entwicklung und in der konstruktiven Auseinandersetzung mit ihrem direkten Umfeld sehen, während anderen Aktivitäten auf der gesellschaftlich-politischen Ebene näher liegen. Zweifellos können Entwicklungen auftreten in denen nur ein Weg beschreitbar ist, generell sollten sich aber die verschiedenen Ansätze ergänzen und nicht wie so oft behindern.

Vor diesem Hintergrund steht die Entwicklung gegenkultureller Freiräume für einen Versuch den Träumen eines befreiten Lebens zumindest ansatzweise näher zu kommen. Als eine konkrete Verbindung innerer und äußerer Veränderung bilden sie einen Rahmen für die mögliche Verbindung von persönlicher Weiterentwicklung, gemeinschaftlichen Zusammenleben und politischem Widerstand.

KÄMPFE UM FREIRÄUME

Inwieweit eine Annäherung an diese Vorstellung von Freiräumen möglich ist bzw. welche Schwerpunkte konkret gesetzt werden, hängt letztlich wechselwirkend von den gesellschaftlichen Bedingungen und den beteiligten Personen ab. In der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wurden gegenkulturelle Freiräume vielfach im Zusammenhang mit besetzten Häusern und autonomen Zentren erkämpft.

Der wesentliche Ursprung dieser Kämpfe liegt in der Außerparlamentarischen Opposition (APO) in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre. Nach einer langen Zeit der politischen Stagnation wurden durch diese Bewegung erstmals wieder die Möglichkeiten einer revolutionären gesellschaftlichen Veränderung in breiteren Kreisen diskutiert und angegangen. Der Bezugspunkt vieler aus der APO hervorgegangenen Gruppen war das Proletariat als revolutionäres Subjekt. Diese Strategie erwies sich jedoch als genauso unzureichend wie die Hoffnung, dass Randgruppen, welche den repressiven Charakter des herrschenden Systems am deutlichsten spüren, eine wirklich revolutionäre Kraft entwickeln und an den Wurzeln ansetzende Veränderungen der herrschenden Ordnung bewirken würden. Die subjektive Bindung an das System ist bei einem überwiegenden Teil der Bevölkerung über alle sozialen Schichten hinweg bis heute viel zu stark, als dass sie sich durch klassenkämpferische Ansätze oder die Propagierung eines antiautoritären Lebensgefühls auch nur ansatzweise aufbrechen lässt.

In den Ländern in denen es in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts im nationalen Rahmen zu einem revolutionären Wandel kam, waren die Veränderungen nicht konsequent genug, um eine wirklich befreite Gesellschaftsordnung aufzubauen. Der revolutionäre Elan in Staaten wie Algerien, Kuba oder Vietnam erstarrte trotz aller Errungenschaften schnell in den Fesseln neuer Herrschaftseliten, die zwar die wirtschaftlichen Eigentumsverhältnisse veränderten, aber die autoritär-patriarchalen Gesellschaftsstrukturen unangetastet ließen. Einen entscheidenden Faktor bildete dabei der Einfluss des realsozialistischen Staaten, sowie der äußere Druck der imperialistischen Mächte, der einen ständigen wirtschaftlichen und politischen Ausnahmezustand bewirkte und damit die Möglichkeiten einer selbstbestimmten Entwicklung stark einschränkte.

Anfang der siebziger Jahre begann in vielen großen Städten der Bundesrepublik eine Phase der Umstrukturierung. Die Innenstädte und einzelne Stadtteile wurden entwohnt und in ihrer gewachsenen Struktur wesentlich verändert um dort nach marktwirtschaftlichen Erfordernissen Einkaufszonen oder Bürozentren entstehen zu lassen. Teilweise wurden auch Häuser und Wohnungen renoviert und umgestaltet, um sie dann zu stark erhöhten Preisen, die von den alten MieterInnen oftmals nicht mehr gezahlt werden konnten, neu zu vermieten. Nicht selten ließen die formellen EigentümerInnen auch Wohnraum gezielt verfallen, um mit dem Grundstück zu spekulieren. Gleichzeitig entstanden in den städtischen Randbezirken Hochhausghettos, die zwar verhältnismäßig billigen Wohnraum boten, aber von einer phantasielosen Sterilität und fehlenden Entfaltungsmöglichkeiten, sowie von der daraus folgenden zwischenmenschlichen Entfremdung geprägt sind.

Der Prozess der Umstrukturierung beschränkte sich keineswegs auf die Bundesrepublik Deutschland, er ist vielmehr zeitversetzt weltweit für die Großstädte, sowie in einem verkleinerten Maßstab auch zunehmend für mittelgroße Städte charakteristisch. Abhängig von der lokalen Bedingungen ist dieser Prozess zum Teil in Folge massenhafter Verelendung von der Entstehung von Elendsvierteln oder gar Slums an den Stadträndern begleitet. Diese Entwicklungen verlaufen als Ganzes in der Regel jedoch keineswegs gesteuert, sondern wurzeln vielmehr in der Dynamik ökonomischer und sozialer Prozesse.

Einige Gruppen aus dem Spektrum der radikalen Linken richteten sich in den frühen siebziger Jahren gezielt gegen diese Politik, verbanden dies mit der Forderung nach Möglichkeiten eines selbstbestimmten Wohnens bzw. Lebens und versuchten dies unter anderem über Hausbesetzungen durchzusetzen. Diese Häuserkämpfe wurden dabei wesentlich stärker als in späteren Jahren als Teil des Klassenkampfes verstanden. ”Häuserkampf kann in dieser Realität aus Entfremdung, Ausbeutung, Kontrolle und Unterdrückung eine Bresche schlagen, wenn wir uns nicht in die geschaffenen Freiräume zurückziehen und verkriechen, sondern wenn wir von hieraus versuchen, unsere Vorstellungen von einem anderen Leben politisch und praktisch zu vermitteln. Den Kampf um Befreiung ausweiten - Häuserkampf als Klassenkampf verstehen.”(1)

Die Zielsetzung breitere Bevölkerungskreise über gemeinsame Interessen anzusprechen bzw. eine entsprechende Politik zu entwickeln, konnte jedoch nur ansatzweise umgesetzt werden. So gelang es den Staatsorganen unter anderem auf Grund dieser Schwäche die Bewegung über repressive Maßnahmen in die Defensive zu drängen. Hausbesetzungen blieben zwar auch danach ein wesentliches Mittel zur Durchsetzung von Freiräumen, es konnte jedoch lange nicht mehr eine vergleichbare Stärke erreicht werden.

In der Regel wurden die Versuche Freiräume über Hausbesetzungen durchzusetzen von gemischt-geschlechtlichen Gruppen getragen. In einigen Fällen traten jedoch auch verschiedene Gruppen aus der neuen Frauenbewegung dafür ein Zentren ausschließlich für Frauen zu schaffen. In der Mitte der siebziger Jahre gelang es in verschiedenen Städten teilweise von Hausbesetzungen ausgehend entsprechende Zentren aufzubauen. Einige Frauen aus einem Zentrum in Heidelberg beschrieben zu dieser Zeit ihr Selbstverständnis folgendermaßen: ”Bisher sahen wir Probleme mit unserem Freund oder Ehemann als privat an. Jetzt haben wir gemerkt, dass es allen Frauen ähnlich geht, und dass wir uns gegenseitig helfen können. Dazu brauchen wir Räume, die jeder Frau zugänglich sind: Ein Kommunikationszentrum für Frauen, wo wir über unsere Probleme sprechen und in einen gesellschaftlichen Zusammenhang stellen können. Wo wir Kinderbetreuung und Einkauf kollektiv organisieren können, um Zeit und Energie freizusetzen. Wo wir Aktionen gegen Frauenunterdrückung entwickeln können. (...)”.(2)

Als es Anfang der achtziger Jahre im Zusammenhang mit Jugendrebellionen in verschiedenen Großstädten Westeuropas zu einer zweiten Häuserkampfbewegung kam, erlangten die Forderungen nach autonomen Zentren und selbstbestimmten Wohnraum eine neue Bedeutung. So entwickelte sich beispielsweise in Zürich über die Auseinandersetzung um ein autonomes Jugendzentrum eine Jugendbewegung, die mit symbolhaften Forderungen wie ”Weg mit dem Packeis” die gesellschaftlichen Verhältnisse grundsätzlich in Frage stellte. In Amsterdam erlangte die Kraaker-Bewegung eine neue Stärke und verteidigte militant besetzte Häuser. Gleichzeitig waren in West-Berlin, wo es im Zusammenhang mit Räumungen und Repressionsmaßnahmen mehrfach zu bürgerkriegsähnlichen Straßenschlachten kam, zeitweise rund 150 Häuser besetzt.

Die Staatsorgane verfolgten meist langfristig eine Doppelstrategie. Anfangs wurde versucht die Bewegungen über Repressionsmaßnahmen zu zerschlagen. Als dies nicht gelang wurde eine Politik eingeschränkter Zugeständnisse eingeleitet. Die Bewegungen sollten dadurch geschwächt und langsam integriert bzw. im Innern in spaltende Widersprüche verstrickt werden, was auch vielfach gelang. In dieser Strategie spiegelt sich das sozialdemokratische Modell der Integration, in dessen Rahmen Reformen bzw. kosmetische Veränderungen die Funktion haben, die bestehenden Herrschaftsverhältnisse in ihren Grundlagen zu stabilisieren. Durch die relative Stärke der autonomen Bewegung, in der anarchistische, kommunistische und feministische Grundgedanken miteinander verbunden wurden, gelang es jedoch in der BRD auch in den Jahren nach dem Höhepunkt der Häuserkämpfe vor allem in den Großstädten Freiräume in Form autonomer Zentren durchzusetzen. Die Zentren wurden zu einem entscheidenden Faktor für eine gewisse Stabilität und Kontinuität, sowie trotz aller Rückschläge für eine innere Entwicklung der Bewegung, die bewusst auf traditionelle, hierarchische Organisationsformen verzichtete.

Auch wenn einige Zentren über einen längeren Zeitraum gehalten oder gar legalisiert wurden, so ist die vorherrschende Politik bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt im wesentlichen an der Zerschlagung von gegenkulturellen Freiräumen und Lebenszusammenhängen ausgerichtet. Deutlich wird dabei immer wieder, dass sich die bestehenden gesellschaftlichen Widersprüche nur begrenzt verschleiern lassen. Zwangsläufig bricht überall dort, wo sich Menschen der Verwertung durch das System verweigern die Fassade der bürgerlichen Gesellschaft auf.

ENTWICKLUNGEN IN HANAU

Auch in Hanau bildete die APO einen entscheidenden Ausgangspunkt für eine Vielzahl von Entwicklungen. In den siebziger Jahren entstand in Zusammenhang mit deren Ausläufern die Jugendzentrumsbewegung, die auch in Hanau ihren Niederschlag fand. Dort gab es wie in vielen anderen Städten zu dieser Zeit keine oder nur sehr eingeschränkt öffentliche nichtkommerzielle Räumlichkeiten in denen es möglich war, sich zu treffen und eigene Vorstellungen umzusetzen. Einige linke Gruppen griffen in Hanau diesen Misstand auf und leiteten daraus die Forderung nach einem selbstverwalteten Jugendzentrum ab. Um dem politischen Druck einen Teil seiner Kraft zu nehmen, reagierte der Hanauer Magistrat in der Mitte der siebziger Jahre mit der Einrichtung des Hans-Böckler-Hauses. Dieses basierte jedoch nicht auf dem Prinzip der Selbstverwaltung, es stand vielmehr entgegen den Forderungen unter städtischer Aufsicht und wurde entsprechend auch nie wirklich angenommen.

Ende 1976 folgte unabhängig von städtischen Einrichtungen die Anmietung von Räumen in der Friedrich-Ebert-Anlage 4, in denen das Kommunikationszentrum (KOZ) eingerichtet wurde. Dieses entwickelte sich schnell zum Bezugspunkt der linken Szene und prägte diese über Jahre hinweg. Eine Vielzahl politischer und kultureller Initiativen und Projekte gingen vom KOZ aus bzw. konnten sich erst dort entwickeln und entfalten. Ein damaliger KOZ-Aktivist beschrieb dessen Bedeutung wie folgt: ”Dem KOZ kommt neben der Bereitstellung von (Frei-) Räumen für einzelne Gruppen und Initiativen die Funktion zu, und die hat es in den letzten vier Jahren mehr recht als schlecht erfüllt, Denkanstöße für die Ursachen der individuellen Probleme zu geben, Möglichkeiten der politischen Selbstbestimmung aufzuzeigen, Perspektiven für den Kampf zu diskutieren, Möglichkeiten anderer Organisationsformen (als bürgerliche) Lebensperspektiven aufzuzeigen... Kurz, eine Fundamentalopposition zu schaffen.”(3)

1979 mietete eine kleine Gruppe aus der alternativen Szene den ehemaligen Gasthof Krone in Hanau-Mittelbuchen. Die Absicht der MieterInnen war es gleichermaßen eine Kneipe als Treffpunkt für die linke Szene einzurichten wie auch die AnwohnerInnen anzusprechen. Über eine Vielzahl breitgefächerter Angebote und Veranstaltungen (”vom Frühschoppen über die Kaninchenaustellung bis zum Rockkonzert”) erhielt die Krone eine überregionale Bedeutung. Unter maßgeblicher Vermittlung eines ehemaligen SPD-Landrates kündigten jedoch die formellen BesitzerInnen den Mietvertrag und verkauften das Gebäude an die HL-Kette. Um deren Plänen, die Krone abzureißen und einen Supermarkt zu errichten, entgegen zu treten, wurde die Krone nach Ablauf des Vertrages besetzt. In einem Flugblatt hieß es dazu: ”Zur Zeit wohnen etwa 40 Leute in der Krone, die jeden Abend von vielen Interessierten besucht wird. In mehr oder weniger regelmäßigen Abständen werden Vollversammlungen einberufen auf denen das weitere Vorgehen, die Programmgestaltung etc. besprochen werden. An den öffentlichen Versammlungen nehmen bis zu 150 Aktive teil. Jeder hat ein Mitspracherecht. Beschlüsse werden ausführlich diskutiert und abgestimmt. Für die Ausarbeitung der sich ergebenden Probleme bilden sich Arbeitsgruppen.”(4)

Der Versuch im Rahmen der besetzten Krone eine Verbindung von ”Wohnen, Arbeiten und Leben”(5) zu verwirklichen wurde nach acht Wochen beendet. Im März 1980 kam es zu einer polizeilichen Räumung, welcher der sofortige Abriss des Gebäudes folgte. Für die BesetzerInnen und deren UnterstützerInnen war dies jedoch nicht der Endpunkt der Entwicklungen: ”Uns war klar, dass mit dem Abriss der Krone unsere Ideen, Träume, Wünsche, Phantasien und auch unser Mut in der Tradition der Krone weiterzumachen nicht zu brechen sind.”(6)

Nachdem der Hanauer Magistrat lange versuchte seine Verantwortung für die Entwicklungen zu verschleiern, gab er scheinbar nach der Räumung dem öffentlichen Druck nach und stellte unter bestimmten Bedingungen, zu denen die Gründung eines Vereins gehörte, den Gebäudekomplex Pumpstation als Zentrum in Aussicht. An diesem Punkt wurden die verschiedenen Einschätzungen der an der Krone-Bewegung beteiligten Gruppen deutlich. Ein Teil ließ sich auf die Forderungen des Magistrates ein und gründete einen ”Trägerverein für ein selbstverwaltetes Kulturzentrum Pumpstation”. VertreterInnen eines radikaleren Weges kritisierten dagegen dieses Vorgehen als Anpassung und Integration. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus der Jugendzentrumsbewegung wurde das Konzept der Selbstverwaltung scharf angegriffen: ”Wir wollen uns doch nicht verwalten! Wir wollen uns verwirklichen! Selber bestimmen, wie wir leben und miteinander umgehen!”(7)

Die gegensätzlichen Positionen waren Ausdruck grundsätzlich unterschiedlicher Vorstellungen über die Wege gesellschaftlicher Veränderung, die zwar schon zuvor unterschwellig gegeben waren, aber nun deutlich zum Ausdruck kamen und zur Entwicklung zweier politischer Wege führten. Hierbei spiegelten sich die Diskussionen, die zu dieser Zeit die politische Linke in der Bundesrepublik prägte und spaltete. Besonders deutlich kam sie in der unterschiedlichen Einschätzung der Grünen zum Ausdruck, die je nach Position als Möglichkeit schrittweiser Veränderungen befürwortet oder als Mittel der Verschleierung bestehender gesellschaftlicher Widersprüche abgelehnt wurde. Einen gewissermaßen dritten Weg gingen in Hanau diejenigen, die sich nach der Krone-Bewegung aus den politischen Zusammenhängen völlig in das Privatleben zurückzogen.

Der gemäßigte Flügel der ehemaligen Krone-Bewegung konzentrierte sich letztlich auf Projekte wie den Pumpstation-Verein oder auf die Parteiarbeit der Grünen. Damit verbunden war eine Entwicklung, die von dem Konzept des gegenkulturellen Widerstandes zu einer alternativen Kultur mit wachsend kommerziellem Einschlag führte. Ein konkretes Beispiel für diese Entwicklungen war das Pumpstationfest bzw. der daraus entstandene Kultrubel. Ursprünglich wurde das Fest von fast allen linken Gruppen getragen und unterstützt, doch zunehmend erhielt es einen kommerziellen Charakter mit alternativem Anstrich. Die Informationsstände wichen Verkaufsständen, die eingeladenen Musikbands wurden unpolitischer und der ursprüngliche Grundgedanke, mit dem Fest die Forderung nach einem Zentrum zu unterstützen, trat in den Hintergrund bis er fast völlig verschwand. Die Gruppen, welche diese Entwicklung kritisierten, waren allerdings selbst auch nur eingeschränkt bereit durch das aktive Einbringen eigener Inhalte ein angemessenes Gegengewicht zu schaffen. Sie zogen sich vielmehr langfristig zurück bzw. konzentrierten sich auf andere Projekte.

Im Dezember 1980 organisierte die Lokalredaktion der Frankfurter Rundschau ein Diskussionsforum unter dem ironisch formulierten Titel: ”Kulturzentrum Pumpstation - 1981 oder 1991?”. Oberbürgermeister Martin stellte dabei erneut die Pumpstation in Aussicht und kündigte an 30.000 DM für Planungen zur Verfügung zu stellen. Die FR schrieb dazu: ”Viele Diskussionsredner artikulierten indes ihr Misstrauen gegenüber den Kommunalpolitikern. Die Sorge, es handle sich womöglich um den Versuch, die Initiative mit Vertröstungen abzuspeisen, wurde oft formuliert. Oberbürgermeister Martin hielt, leicht ironisch, dagegen: ’Sie sollten uns ausnahmsweise mal vertrauen.’”(8) Diejenigen, die dem Oberbürgermeister bzw. der SPD damals tatsächlich vertrauten warten auch heute noch auf eine Umsetzung dieser Versprechungen.

Die Jahre nach der Krone waren bestimmt von einer Hinhalte- und Verschleppungspolitik in Bezug auf die Pumpstation. Der Pumpstationsverein konnte dieser Politik nichts entgegensetzen, er war von einer zu naiven Einschätzung der Magistratspolitik geprägt. Zudem fehlte ihm eine breite Unterstützung und der damit verbundene ”Druck der Straße” wie er für die Kronebewegung charakteristisch war. Nach der weitgehenden Niederlage der Krone-Bewegung und den zwiespältigen Bemühungen in Bezug auf die Pumpstation trat die Forderung nach einem Zentrum wieder in den Hintergrund.

Um der Forderung nach bezahlbaren Wohnraum Nachdruck zu verleihen kam es zur Besetzung einer Wohnung in der Julius-Leber-Straße und zur Gründung des Mieterrates, dessen Aktivitäten allerdings nach einer aktiven Phase beständig nachließen. Die Mietverträge des KOZ wurden Anfang 1981 auf Druck der Stadt gekündigt, wobei interne Problematiken bewirkten, dass dies ohne größeren Widerstand hingenommen wurde und lange Zeit auf eigene Räumlichkeiten verzichtet wurde. Bestehen bliebt das Autonome Plenum als Diskussionsforum und Ausgangspunkt verschiedener Aktionen, welches sich in wechselnder Besetzung in privaten und angemieteten Räumen traf.

DIE METZGERSTRASSE ALS FREIRAUM

Innerhalb des Autonomen Plenums entstanden dann die Überlegungen im Dezember 1986 die Metzgerstraße 8 zu besetzen um dort ein Autonomes Kulturzentrum zu errichten. Nachdem die Versuche entsprechende Räumlichkeiten zu mieten zuvor gescheitert waren, wurde ein seit langem leerstehendes Haus in der Metzgerstraße, der ehemalige Nachtclub ”Moulin Rouge”, besetzt. Dem formellen Hausbesitzer ging gleichzeitig ein Mietangebot zu, welches er zurückwies. Aus rechtlichen und finanziellen Gründen ließ er das Haus jedoch auch nicht räumen.

Mit dem Einzug in die Metzgerstraße stellten die BesetzerInnen das bestehende Eigentumsrecht grundsätzlich in Frage und nahmen für sich das Recht in Anspruch ”sich zu nehmen was uns gehört”(9). Wie bei vielen Hausbesetzungen zuvor wurde in diesem Sinne aus Bertolt Brechts ”Resolution der Kommunarden” zitiert: ”In Erwägung, dass da Häuser leer stehen, während ihr uns ohne Bleibe lasst, haben wir beschlossen jetzt dort einzuziehen weil es uns in unseren Löchern nicht mehr passt!”(10)

Das Ziel der Besetzung war es, einen Freiraum zu schaffen ”in dem die Vorstellung einer autonomen Kultur und die Wiederaneignung des entfremdeten Alltages umsetzbar wird, in dem solidarisches Handeln, kollektives Leben und politische Identität miteinander verschmelzen.” Oder anders ausgedrückt, ein Freiraum in dem eine Verbindung von ”Leben, Lachen, Lieben, Kämpfen”(11) in einer neuen Qualität verwirklichbar ist. Programmatisch hieß es in einem der ersten Flugblätter: ”Wir haben fantasievollere Vorstellungen von gesellschaftlicher Kommunikation als in der Kneipe abzuhängen, isoliert in der Disco zu stehen oder vor der Glotze zu verblöden. Unser Programm wird von uns selbst bestimmt und nicht vom Kommerz.”(12) Entsprechend lassen sich die Besetzung und die folgenden Auseinandersetzungen zwischen den BesetzerInnen und dem Magistrat keineswegs auf einen vorgeblichen Generationskonflikt reduzieren, wie es teilweise die lokale Presse tat. Es ging vielmehr einmal mehr um den Gegensatz zwischen den Ansätzen eines selbstbestimmten Lebens und den herrschenden Strukturen.

Im Stadtteil wurde die Besetzung von der Bevölkerung erwartungsgemäß sehr unterschiedlich aufgenommen. Der älteren Frau aus dem Nachbarhaus, die einen Topf mit Suppe vorbeibrachte, stand beispielsweise der Familienvater gegenüber, der die BesetzerInnen als ”arbeitsscheues Gesindel” bezeichnete. Viel Unverständnis gab es in den folgenden Jahren in Zusammenhang mit den bunt besprühten und bemaltem Wänden des Zentrums. Zwangsläufig erweckt in einer Stadt, in der die Fassaden der Häuser zumeist genauso grau sind wie das Leben ihrer BewohnerInnen, eine solche Gestaltung Ablehnung und Unverständnis. Die BesetzerInnen sehen jedoch, bei aller internen Kritik an einzelnen Motiven, in der Gestaltung auch einen Ausdruck ihrer eigenen, den herrschenden Konventionen widersprechenden, Lebenseinstellung.

Dieser äußerliche Konflikt macht deutlich wie unterschiedlich oftmals die Lebenseinstellungen der BesetzerInnen und der AnwohnerInnen sind. Gelegentliche Versuche Barrieren zum Beispiel über Straßenfeste abzubauen waren nur bedingt erfolgreich. Die Prozesse der Solidarisierung fanden vielmehr über den Stadtteil hinausgehend über einzelne langfristige Projekte statt, so unter anderem über vielfältige soziale und politische Informationsangebote, über verschiedene Aktionen oder auch über die zahlreichen Konzerte.

Die Gruppe der BesetzerInnen war von ihren Anfängen an keineswegs einheitlich und geschlossen, sie ist vielmehr bis heute von vielfältigen Meinungen und Ansätzen geprägt, denen aber durchgehend das Bedürfnis nach einem Leben zu Grunde liegt, welches auf Autonomie, Gleichberechtigung und Solidarität basiert. Die Vielfalt und Verschiedenheit der Beteiligten ist dabei zweifellos eine Stärke, die aber oft auch unter anderem in Form zäher Diskussionsprozesse einen negativen Niederschlag findet. Das Konzept des Freiraums darf dabei nicht als Möglichkeit missverstanden werden, die eigenen Bedürfnisse uneingeschränkt ausleben zu können, es setzt vielmehr die Bereitschaft zu einem verantwortlichen und verbindlichen Handeln auf der Grundlage gemeinschaftlicher Entscheidungen und Zielsetzungen voraus.

Das entscheidende Gremium ist der BesetzerInnenrat, an dem alle teilnehmen können, die ein konstruktives Interesse an dem Kulturzentrum Metzgerstraße als Freiraum haben bzw. in ihm aktiv sind. Entscheidungen werden nach dem Konsensprinzip getroffen, wobei im Zusammenhang mit strittigen Fragen nach einer Lösung gesucht wird, die für alle vertretbar ist. Einen Vorstand oder vergleichbares gibt es nicht. Die Projekte und Initiativen, die sich im Zentrum entwickelten, wurzeln in den Bedürfnissen und Erfahrungen der Beteiligten. Sie können in der bestehenden Form der Freiwilligkeit auch nur existieren weil sie aus sich heraus wirken. Aufgesetzte Veranstaltungen oder Projekte sind zwangsläufig zum Scheitern verurteilt.

Für alle Bereiche innerhalb der Metzgerstraße gilt, dass dem Selbstverständnis des Zentrums zufolge ”dem Prinzip der Kontrolle das Prinzip des Vertrauens und der Verantwortung gegenübergestellt wird, dem Prinzip der Unterordnung die Gleichberechtigung und die Autonomie, der Konsumhaltung die Eigeninitiative und dem Profitdenken die Nichtkommerzialität.”(13) Die Veranstaltungen werden von Personen aus dem Zentrum bzw. aus dem Umfeld selbst organisiert. Mit Ausnahme der Konzerte, bei denen ein Selbstkostenbeitrag erhoben wird, sind die Veranstaltungen in der Regel eintrittsfrei. Niemand verdient an einer Tätigkeit im Zentrum. Das aktuelle Programm erscheint neben weiteren Informationen im monatlich erscheinenden Metzgerstraßen-Info.

GRUPPEN UND PROJEKTE

Die Frauengruppen in der Metzgerstraße durchliefen viele Höhen und Tiefen. Themen waren immer wieder der Sexismus innerhalb der Szene genauso wie die grundlegenden patriarchalen Strukturen der Gesellschaft. Die Gruppen bzw. die zeitweise eingerichteten Frauentage, an denen nur Frauen in die Metzgerstaße kommen konnten, sollen eine Atmosphäre gewähren, in der ein Erfahrungsaustausch und eine Auseinandersetzung möglich ist, die nicht wie viele gemischt-geschlechtliche Veranstaltungen und Treffen von (subtiler) männlicher Dominanz geprägt ist. Langfristig sollten die Frauengruppen dazu beitragen eine innere Stärke unter den Frauen zu entwickeln und darüber hinaus gemeinsame Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen.

Zu den herausragenden Aktivitäten gehörte im März 1990 die Organisation einer Demonstration unter dem Motto ”Frauen gegen Gewalt gegen Frauen”. In dem Aufruf hieß es dazu: ”Gewalt gegen Frauen ist überall und alltäglich und tritt in vielfältigen, offenen und verdeckten Formen auf. Gewalt wird von Männern - auch von linken Männern - ausgeübt, weil sie in unserer Gesellschaft die Macht haben, Frauen zu unterdrücken und zu missbrauchen: in Form von sprachlicher Gewalt; in Form von körperlicher Gewalt wie Angrapschen, sexuellem Missbrauch von Mädchen oder Vergewaltigung; in Form eines Frauenbildes, das Frauen als sexuelle Objekte abstempelt; in Form von Sextourismus und Frauenhandel; in Form einer Erziehung, die Mädchen passiv, verständnisvoll, rücksichtsvoll, sanft, ... zu sein zwingt.”(14)

1987 wurde in der Metzgerstraße von einer autonomen Gruppe das Erwerbslosen- und JobberInnen-Cafe gegründet. Es wurzelte in der Erkenntnis, dass die Probleme auf dem Sozialamt und in den verschiedenen Arbeitsverhältnissen bzw. generell in der Beschaffung des nötigen Lebensunterhaltes keine individuellen sondern gesellschaftliche sind. Entsprechend soll das Cafe zum Kennenlernen und zur Beratung dienen, sowie ermöglichen Informationen auszutauschen, Berührungspunkte zu entwickeln und eine Selbstorganisierung anzuregen.

Um diesen Ansatz nicht nur auf die Szene zu beschränken bzw. um noch offensiver zu werden, wurde über Jahre hinweg das Basta-Info herausgegeben und unter anderem auf dem Sozialamt verteilt. Das Info erschien meist zu einem Schwerpunktthema, welches in einen allgemein politischen und einen praktischen Teil untergliedert war. So befanden sich darin zum Beispiel Hinweise zum Kleidergeld oder zum Widerspruchsrecht. 1992 wurde zudem ein mehrsprachiger ”Flüchtlingsleitfaden” veröffentlicht. Grundlegendes Ziel der Aktivitäten der Basta-Gruppe war es, für jede Person ein Grundeinkommen zu ermöglichen um darüber unter anderem den Zwang zur entfremdeten Arbeit zu mildern. Dies wurde allerdings nur als ein erster Schritt auf dem Weg zu einem menschenwürdigen Leben verstanden. Wichtig war der Gruppe darüber hinaus der Bezug auf internationale Befreiungskämpfe, den ”Befreiung kann allein als weltweiter, gleichzeitiger Prozess entfaltet werden.”(15)

Anfangs versuchte der Magistrat bzw. die verschiedenen Behörden die Verteilung des Infos auf dem Sozialamt polizeilich zu verhindern. Nachdem diesen jedoch klar wurde, dass sich die Basta-Gruppe davon nicht einschüchtern ließ und die Unterstützung gleichzeitig wuchs, wurden die Behinderungen eingestellt und die bereits erstatteten Anzeigen zurückgezogen. Langfristig konnte die Basta-Gruppe jedoch ihr Ziel, zu einer wachsenden Solidarisierung bis hin zu einer poltischen Organisierung beizutragen, nur sehr eingeschränkt umsetzen.

Zumindest an einem Abend in der Woche gibt es bis heute die sogenannte Volxküche in der ein vegetarisches warmes Essen zu einem kostendeckenden Preis angeboten wird, wobei das Essen selbst so unterschiedlich ist wie die KöchInnen. Zu den Grundgedanken gehört es, dass über das gemeinschaftliche Beisammensein ein Stück weit die Vereinzelung und die Isolation untereinander aufgebrochen bzw. weitmöglichst aufgehoben wird. Ein weiterer Ausgangspunkt ist die Überwindung der oftmals noch immer bestehenden patriarchalen Rollenaufteilung im Bereich der Küche indem jede und jeder gleichermaßen Verantwortung übernimmt.

Ein wesentlicher Bestandteil des Zentrum ist die antifaschistische Arbeit, die sich gegen jegliche faschistischen und rassistischen Tendenzen richtet, sei es nun hinsichtlich neonazistischer Gruppen oder staatlicher Verordnungen zum Beispiel gegenüber MigrantInnen. Entsprechung bildet die bundesweite Kampagne ”Kein Mensch ist illegal” einen zentralen Bezugspunkt. Diese fordert unter anderem dazu auf ”Flüchtlinge und MigrantInnen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus bei der Ein- oder Weiterreise zu unterstützen, Arbeit und Papiere zu verschaffen, medizinische Versorgung, Schule und Ausbildung, Unterkunft und materielles Überleben zu gewährleisten.”(16) Darüber hinaus hat die Zusammenarbeit mit Organisationen von Flüchtlingen und MigrantInnen in der Metzgerstraße eine lange Tradition. Immer wieder kam es zu gemeinsamen Aktionen und Veranstaltungen, zudem werden den Gruppen Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt.

Mehrfach organisierte das Zentrum zusammen mit kurdischen und türkischen Gruppen das Internationalen Kulturfest bei dem Folklore-, Musik- und Theatergruppen auftraten. Daneben gab besondere Angebote für Kinder, Diavorträge und zahlreiche Informationsangebote. Verbindender Grundgedanke war ”die Solidarität mit allen Menschen, die gegen ihre Unterdrückung kämpfen oder auf der Flucht hier stranden”(17), wobei insbesondere auf den Befreiungskampf in Kurdistan eingegangen wurde.

Seit Januar 1989 besteht in der Metzgerstraße ein Infoladen, der zum Ziel hat über Ereignisse und Entwicklungen bzw. die entsprechenden Hintergründe zu informieren, die in den bürgerlichen Medien nicht oder nur am Rande Erwähnung finden. Materialien und Informationen unter anderem zu Stichworten wie Antifaschismus, Atompolitik, Autonome Bewegung, Frauenbewegung und Internationales werden im Rahmen eines Archivs zur Verfügung gestellt. Zudem besteht eine Leihbücherei mit Sachbüchern, Literatur und Zeitschriften.

Musik hatte von Anfang an in der Metzgerstraße eine besondere Bedeutung. Über das Musikhören hinaus machen viele Personen selbst Musik, veröffentlichen eigene Aufnahmen oder organisieren Konzerte. Diese werden in der Regel im direkten Kontakt mit den MusikerInnen ohne Konzertagenturen und auch ohne Verträge organisiert. Neben der inhaltlichen Akzeptanz ist ein gewisses solidarisches Verhältnis der MusikerInnen zur Metzgerstraße Voraussetzung, was sich unter anderem auch in der Gage ausdrückt, die sich zumeist auf die für die Band entstandenen Unkosten und die Verpflegung beschränkt. Der Eintrittspreis ist so ausgerichtet, dass er die anfallenden Kosten deckt bzw. im Rahmen von Benefiz-Konzerten bestimmte Projekte unterstützt. Lange überschritt er nie fünf DM, erst im Verlauf der neunziger Jahre kam es auf Grund der allgemein gestiegenen Kosten zu einer geringfügigen Erhöhung.

Zu den Konzerten kommen im Durchschnitt zwischen 20 und 120 ZuschauerInnen, teilweise gab es Auftritte mit bis zu 200, in einigen besonderen Fällen sogar bis zu 300 Gästen. Die musikalische Bandbreite umfasst unter anderem Rockmusik in den verschiedensten Schattierungen, Punk, Hardcore, Folk, Jazz und improvisierte Musik. Lokale Nachwuchsbands traten im Laufe der Jahre genauso auf wie renommierte Gruppen aus unterschiedlichsten Ländern. Geradezu Kultcharakter erlangten zudem die Nachtcafe-Sessions, an denen jeder und jede teilnehmen konnte und bei denen die Vielfalt der Instrumente bis zu Gläsern und Mülleimern reichte. Die Aufnahmen einiger Konzerte wurden später auf verschiedenen Tonträgern veröffentlicht. 1992 kam es daneben zur Veröffentlichung eines der Metzgerstraße gewidmeten Stücks des Avantgarde-Komponisten John Cage, welches in Zusammenarbeit mit dem KomistA-Projekt realisiert wurde.(18)

Beständig organisieren einzelne Personen oder Gruppen Informations- und Diskussionsveranstaltungen. Teilweise werden zu bestimmten Themen Gäste eingeladen, Referate gehalten, Dias gezeigt oder Filme vorgeführt, um danach, von einem angeglichenen Wissensstand ausgehend, zu diskutieren. Eine Vielzahl von Veranstaltungen bezog sich auf Befreiungskämpfe in einzelnen Ländern und Regionen. Eine zentrale Bedeutung haben zudem die Aktivitäten und Kampagnen gegen die sogenannte Globalisierung in ihren unterschiedlichsten Ausformungen eingenommen. Hinzu kommen eine unüberschaubare Reihe weiterer Initiativen und Angebote, die im Laufe der Jahre ihren Platz fanden und zum Teil noch immer haben. Dazu gehören unter anderem Fahrradworkshops, Filmabende, Kleidertauschtreffen, Lesungen, Spiel- und Kneipenabende, sportliche Aktivitäten, das Nachtcafe und die Volxtanz-Discos.

INNERE WIDERSPRÜCHE

In fast allen gesellschaftlichen Bereichen besteht der Zwang sich unterzuordnen, anzupassen und zu einem funktionierenden Rädchen zu werden, ohne den eigenen Lebensweg wirklich selbst bestimmten zu können. Allgegenwärtig prägen grundlegende autoritäre Strukturen den Alltag. Entsprechend schwer ist es, sich dem Vorgegebenen zu verweigern, selbst aktiv zu werden, eigene Interessen und Bedürfnisse zu erkennen und in einen gemeinschaftlichen Zusammenhang zu stellen.

Zwangsläufig ist auch das Kulturzentrum Metzgerstraße als Bestandteil der bestehenden Gesellschaft von den entsprechenden Widersprüchen geprägt. Bei allen positiven Entwicklungen dürfen gerade die inneren Konflikte nicht verharmlost werden, den zu oft wird die unabdingbare Wechselwirkung zwischen äußerer und innerer Veränderung ignoriert und über die Betonung der Auseinandersetzung mit den herrschenden Verhältnissen die notwendige Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit vernachlässigt. Auch in der Metzgerstraße gibt es entgegen der Ansprüche egoistische Verhaltensweisen, es gibt Profilierungssucht, Konkurrenzdenken und subtile Hierarchien. Immer wieder kommt es zu engstirnigen Fraktionierungen und an manchen Punkten drückt sich eine fehlende Verbindlichkeit, sowie ein konsumbestimmtes und verantwortungsloses Verhältnis zum Zentrum aus, wobei schon mehrfach das Zentrum als Freiraum von einzelnen Personen durch Diebstähle materiell ausgenutzt wurde.

Ein zentraler Konfliktpunkte ist über die Jahre hinweg immer wieder das Verhältnis der Geschlechter bzw. die Kritik von Frauen an sexistischen Verhaltensweisen und Strukturen. Ein weiter Aspekt der zum Teil zu Kontroversen führte waren Konflikte mit neu in das Zentrum gekommenen jüngeren Leuten und Gruppen bzw. der Übergang zwischen verschiedenen BesetzerInnen-Generationen. Weitere Stichpunkte sind in unterschiedlicher Wertigkeit unter anderem der Umgang mit legalen und illegalen Drogen, der Verzehr von Fleisch, die kaum vorhandenen Auseinandersetzungen über Beziehungsformen und Sexualität, das oftmals nur eingeschränkte ganzheitliche Lebensverständnis und das unzureichende ökologische Bewusstsein. Teilweise fehlt der Blick über die eigene Szene hinaus, wobei in Folge das Auftreten der BesetzerInnen gegenüber Außenstehenden von diesen nicht selten als arrogant und abweisend empfunden wird.

All diese Erscheinungen zeigen auch wie sehr bestimmte Eigenschaften von frühester Kindheit an aufgezwungen und verinnerlicht wurden. Dieser Zustand lässt sich nicht in kurzer Zeit überwinden, es Bedarf vielmehr eines langen Prozesses in dem die ständige Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit und den umgebenden Strukturen eine wesentliche Rolle einnimmt. In vielen Fällen werden jedoch bestimmte Verhaltensweisen von einzelnen Personen zwar theoretisch abgelehnt, sie sind aber nicht bereit dies praktisch umzusetzen, weil dies eine kraftzehrende und oftmals schmerzhafte Veränderung der eigenen Persönlichkeit voraussetzen würde. An diesem Punkt wird dann zumeist deutlich, ob die vorgegebene Haltung auf einer tieferen Überzeugung basiert oder nur eine Fassade ist hinter der die eigene Unwilligkeit und nicht etwa Unfähigkeit verborgen wird.

KULTUR UND GEGENKULTUR

Trotz aller Widerstände und Widersprüche steht das Autonome Kulturzentrum Metzgerstraße bis heute für die Möglichkeit und die Notwendigkeit eines eigenständigen Weges. Es gelang eine Kultur zu entwickeln, die von den Beteiligten gemeinschaftlich ohne hierarchischen Strukturen selbst bestimmt wird. Dem Hanauer Magistrat war das Kulturverständnis des Zentrums von Anfang an ein Dorn im Auge. Die VertreterInnen des SPD-Innenstadt-Verbandes sprachen vom ”Schandfleck”, der beseitigt werden muss. Daneben betonten der damalige Oberbürgermeister und insbesondere sein Kulturdezernent mehrfach, dass im Zentrum keine Kultur statt fände bzw. dass das besetzte Haus kein kultureller Treffpunkt sei.(19) Diesen Vorstellungen entsprechend wurde ein Bebauungsplan erstellt, der vorsieht das Zentrum ersatzlos abzureißen und an dessen Stelle fünf Parkplätze zu errichten. Ein Vorhaben dessen Symbolcharakter kaum zu überbieten ist.

Der Plan fiel VertreterInnen des Kulturzentrums im Oktober 1988 während des Besuches einer Stadtverordnetenversammlung, bei der unter anderem über das Kulturzentrum gesprochen wurde, und der folgenden Besetzung des Sitzungssaales in die Hände. Nur wenige Minuten vor dem erzwungenen Abbruch der Sitzung hatte der Baudezernent erklärt, dass keine Planungen bestehen würden. Einige Meter hinter ihm hingen jedoch dekorativ einige Bebauungspläne unter denen sich wohl aus überheblicher Unachtsamkeit auch der Abrissplan für das Kulturzentrum befand, und entlarvten so seine Aussagen als blanke Lüge.

Im März 1990 kam es dann zu einer weiteren Besetzung des Stadtparlamentes, die aber nicht die Annahme des Abrissplanes verhindern konnte. ”Die meisten Stadtverordneten verließen empört den Saal, als die Metzgerstraßen-Gruppe unter Einsatz von Trillerpfeifen, Rasseln, Flaschen und eines Lachsacks ohrenbetäubenden Lärm entfachte. Als die Stadtverordneten zurückkehrten, um die Abstimmung in einem zweiten, diesmal energischeren Anlauf abzuhalten, versuchten die Besetzer dies abermals Helau rufend und Konfetti werfend zu sabotieren.”(20) Der Magistrat revanchierte sich später mit Strafanzeigen gegen einige der ParlamentsbesetzerInnen.

In dem 1992 folgenden Prozess nahmen die Angeklagten in einer Erklärung zu den Vorwürfen Stellung und verwiesen auf die eigentlichen Ursachen der Auseinandersetzungen: ”Im Grunde müssten hier auf der Anklagebank diejenigen sitzen, die für den Abrissplan bzw. die entsprechende Politik verantwortlich sind. Denn tatsächlich schuldig sind nicht die, die sich gegen Missstände wehren, sondern die, die diese Missstände erzeugen. Schuldig sind nicht die, die Häuser besetzen, um dort selbstbestimmt leben zu können, sondern die, die Häuser leerstehen und zerfallen lassen. Schuldig sind nicht die, die sich verweigern, Widerstand leisten und für grundsätzliche Veränderung kämpfen, sondern die, die für die Unterdrückung, Ausbeutung und Zerstörung von Mensch und Natur verantwortlich sind.”(21)

Vor dem Hintergrund der durch den SPD-geführten Magistrat umgesetzten Kulturpolitik wirkt die folgende, in unterschiedlichen Formulierungen alljährlich wiederkehrende Aussage aus einem SPD-Wahlprogramm gleichermaßen lächerlich wie zutiefst zynisch: ”Wir gehen dem Gespräch mit der Jugend nicht aus dem Weg, wenn es anfängt unbequem zu werden. Der Wunsch der Jugendlichen, ihre Einrichtungen nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten und zu führen, soll so weit wie möglich respektiert werden...” (22) Im krassen Gegensatz zu solchen Wahlversprechen war die Jugendpolitik in Hanau über Jahre hinweg zum einen von einer Abriss und Verschleppungspolitik gekennzeichnet, wie die Beispiele Krone und Pumpstation nachhaltig belegen, zum anderen aber auch von äußerst kostspieligen Planungen für Prestigeprojekte.

Als ob nicht offensichtlich ist, welche Missstände in Hanau bestehen, beauftragte der damalige Kulturdezernent Anfang der neunziger Jahre eine ehemalige Schülerin von ihm für ein Honorar von 40.000 DM die kulturelle Situation in Hanau zu analysieren und einen kulturellen ”Entwicklungsplan” auszuarbeiten, wobei das Kulturzentrum Metzgerstraße selbstverständlich nicht berücksichtigt wurde. Bis heute hat sich die städtische Kulturpolitik erwartungsgemäß auch nach der Veränderung der Mehrheiten zugunsten der CDU nicht wesentlich gewandelt. Charakteristisch ist weiterhin die Fokussierung auf kostenverschlingende Großprojekte wie ein Kongreßzentrum und die Landesgartenschau.

Inzwischen hat das autonome Kulturzentrum mehrere BürgermeisterInnen und Kulturdezernenten überlebt. Auch wenn der Abrissplan weiter besteht, lassen verschiedene Faktoren erwarten, dass der Magistrat auch weiterhin das Zentrum nicht räumen bzw. abreißen lässt. Gründe hierfür sind die unterschiedlichen Positionen im Magistrat selbst, die nicht völlig geklärten Eigentumsverhältnisse und das relativ positive Verhältnis weiter Teile der Öffentlichkeit zum Zentrum. Zudem spielt sicherlich nicht zuletzt die berechtigte Einschätzung der entscheidenden PolitikerInnen eine Rolle, dass die BesetzerInnen und ihre UnterstützerInnen sich einer Schließung nicht fügen werden und sich das Image des Magistrates bzw. der Stadt bei den folgenden Auseinandersetzungen nachhaltig verschlechtern würde.

Doch selbst wenn es einmal zu einer Räumung des Autonomen Kulturzentrums Metzgerstraße kommt, werden die damit verbundenen Vorstellungen weiterleben und wieder konkrete Formen annehmen. Denn im Zusammenhang mit dem Zentrum geht es beispielhaft um die Möglichkeit einer solidarischen Kultur und eines selbstbestimmtes Lebens - und diese Ansätze konnten im lokalen wie im globalen Maßstab noch nie über einen längeren Zeitraum hinweg unterdrückt werden.

Wolfgang Sterneck, 1992 / 2003.

Anmerkungen:
(1) - Auszug eines Plakattextes. Ohne Jahres- und Ortsangabe.
(2) - Emma-Sonderband / 20 Jahre Frauenbewegung. Köln, Oktober 1991.
(3) - Hanauer Flugzeitung Nr. 21. Hanau, Dezember 1980.
(4) - Krone - Dokumentation einer Besetzung. Hanau, 1980.
(5) - Siehe (5).
(6) - Siehe (5).
(7) - Hanauer Flugzeitung Nr. 20. Hanau, November 1980.
(8) - Frankfurter Rundschau 12.12.1980.
(9) - ”Freiräume entwickeln”. Flugblatt. In: Daily Terror (Sonderausgabe). Hanau, 1987.
(10) - Bertolt Brecht / Die Gedichte. Frankfurt, 1981.
(11) - Siehe (11).
(12) - Metzgerstraßen-Info November 1988. Hanau.
(13) - Siehe (11).
(14) - Frauen gegen Gewalt gegen Frauen”.-Aufruf zur Demonstration am 17.3.1991 in Hanau.
(15) - Basta - Autonomer Informationsdienst Hanau. In Swing Nr 20. Frankfurt, u.a. Juli 1991.
(16) - Kein Mensch ist illegal: www.contrast.org/borders/kein/appell.html
(17) - Flugblatt zum Internationalen Kulturfest am 22.6.1991. Hanau.
(18) - Siehe dazu: www.sterneck.net/squat/cage-projekt/index.php
(19) - Unter anderem nachzulesen in Frankfurter Allgemeine Zeitung 2.11.1988. Frankfurt.
(20) - Main Echo 28.3.1990. Offenbach.
(21) - ”Prozesserklärung zur Besetzung des Hanauer Stadtparlamentes am 26.3.1990”. Hanau, März 1992.
(22) - Wahlprogramm der SPD in Hanau 1986.

Ausführliche Darstellungen der einzelnen Projekte befinden sich in der Dokumentation: ”Lieber ’ne lange Besetzung als ’ne kurze Bescherung - 15 Jahre Autonomes Kulturzentrum Metzgerstraße”. Erhältlich im: Infoladen / Autonomes Kulturzentrum, Metzgerstrasse 8, D-63450 Hanau.



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DAS BESETZTE AUTONOME KULTURZENTRUM
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(Ausführliche Darstellung 2003)
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- Benefiz-Projekt von John Cage und Sterneck / KomistA für das Kulturzentrum
- Project of John Cage and Sterneck / KomistA in benefit of the Culture Center

Autonomes Kulturzentrum, Metzgerstrasse 8, D-63450 Hanau, Germany.