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Wole Soyinka :
GLAUBS MIR, ICH HAB SPASS
Eine Begegnung mit Mumia Abu Jamal, der seit 20 Jahren in der Todeszelle
sitzt -Sie sahen fast wie Designer-Armbänder aus. Mein unmittelbarer
Gedanke war: Die müssen aus einem jener Wundermetalle gemacht
sein, von denen man so liest, noch den stärksten Stahlscheren
oder Feilen widerstehend, und, natürlich doch, mit einem teuflisch
cleveren Verschlusssystem ausgerüstet. Und doch sahen sie ganz
wie Designer-Armbänder aus. Ich habe schon schwerere gesehen,
wie sie selbst von schmächtigen Frauen getragen werden - und
an Mumia ist nun wirklich nichts schmächtig, weder seine bis
zur Hüfte reichenden Dreadlocks noch seine physische Präsenz,
die den quadratischen Käfig auf der anderen Seite des dicken,
vermutlich schusssicheren, schlagsicheren herauszufordern schien.
Dieses war ein No Contact-Meeting, das auch deutlich so bezeichnet
wurde. Unsere Stimmen wurden durch ein Tonsystem, das das individuelle
Timbre unserer Stimmen verzerrte, hindurchgezwungen, doch ich gewöhnte
mich sehr bald daran. Und Mumia war, das konnte man deutlich merken,
längst ein Meister im Entziffern noch der feinsten Nuancen
in der Stimme geworden.
Diese Armbänder wollten nicht aus meinem Bewusstsein verschwinden,
auch wenn meine Augen ganz auf die Seinen fixiert waren. Wenn seine
Hände unter dem festen hölzernen Bord, das als Schreibunterlage
diente, verschwanden, dann fragte ich mich, ob seine Handgelenke
sich auf einen Wechsel im Gesprächsthema einstimmten. Doch
vielleicht rührte dieser Einfall ja daher, dass niemand an
beiden Armen Armbänder trägt, die vor dem Körper
(oder auf dem Rücken) zusammengekettet sind, und weil Mumia
ein sehr expressiver Sprecher ist, war ich zunächst gespannt
und schließlich in höchstem Maße fasziniert zu
sehen, wie er beide Hände im Einklang bewegte, sie auf delikate
Weise zusammenbrachte, um seinen stärksten Argumenten Nachdruck
zu verleihen, derart den Eindruck erweckend, als sei jede seiner
Aussagen von einem Bittgebet begleitet. Das Ganze war auf eine höchst
unnatürliche Weise ausgeglichen, sanft, diese tandem-ähnliche
Bewegung der Hände, die keineswegs durch die Handschellen beeinträchtigt
zu sein schien, sondern eher den Eindruck erweckte, als hätten
sie derart ihre eigene esoterische Sprache geschaffen.
Wir unterhielten uns über Bücher, Schreiben, Gefängnis,
Sierra Leone und Anomie, Nigeria und Diktatoren, Amerika und Gewalt,
Amerika und korrumpierte Werte, Amerikas orientierungslose Jugend,
Drogen... Seinen eigenen Prozess, die Unschuld einer Reihe von Insassen
im Todestrakt, deren Fälle er sorgfältig studiert hatte,
deren Gerichtsprozesse und Urteile er auseinander genommen hatte,
seine Enkel, die er nie in den Armen gehalten hat - auch die hatten
ihn besucht, sie ebenso von ihm durch diesselbe Glasbarriere getrennt.
Zuvor hatte ich mich gefragt, ob ich mich nicht etwas seltsam fühlen
würde, und vermutlich war dem auch so, doch ich hoffte, ich
würde es mir nicht anmerken lassen. Es war schließlich
mein erster Besuch bei jemand in der Death Row, obwohl ich mitansah,
wie einige zum Tode verurteilte Menschen vorbeigingen, an den Beinen
gefesselt, und ich hatte sogar rasche Blicke und kurze Begrüßungen
mit ihnen gewechselt während meiner eigenen Aufenthalte in
zwei nigerianischen Gefängnissen. Doch ungeachtet meiner ursprünglichen
Befürchtungen machten sich im Gespräch mit Mumia die eröffnenden
Nettigkeiten bald davon und wir stürzten uns in das erste Sujet,
das sich uns aufzwang, ganz so, als seien wir uns beide der Zeitbeschränkung
bewusst. Denn ich war der Meinung, dass wir weniger als eine Stunde
zur Verfügung hätten - da gab es ja auch noch die Pressekonferenz,
die ich gleich im Anschluss geben musste, und die erforderte eine
fast einstündige Fahrt zurück nach Pittsburgh. Und wir
hatten volle 40 Minuten im Wartezimmer verschwendet, die, wie ich
damals dachte, als Teil der offiziellen Zwei-Stunden-Ration gezählt
würden.
Der Ablauf dieser 40 Minuten war eine Geschichte für sich.
Ich erreichte diese krankenhausmäßig-aseptische Einrichtung
in Gesellschaft von Mark Clement, einem registrierten Besucher,
der bei den Gefängnisbehörden nicht sonderlich beliebt
ist, und durchlief die üblichen Formalitäten. Diese beinhalteten,
dass wir unsere Besitztümer in ein Schließfach zu entleeren
hatten, uns ins Besucherbuch eintrugen und dann durch einen ultra-sensitiven
Metalldetektor gingen, der manchmal von Schuhen ausgelöst wurde.
Weshalb ich Marks Beispiel folgte und meine Schuhe auszog. Im Anschluss
wurden wir einer Drogen aufspürenden Maschine unterzogen, ein
Gerät mit einer speziellen Beschichtung tupfte unsere Kleidung
ab, und diese Beschichtung wurde dann wiederum von einer anderen
Gerätschaft beschnüffelt - die Wunder der Technik!
Die strikte Regel war: Irgendeine Spur von Drogen, und das war's!
Wir überstanden jedoch den Test, und dann begann das Warten.
10, 20, 30 Minuten, und wir warteten immer noch. Das war schon seltsam,
da ja unserem Besuch eine Menge Vorbereitung vorausgegangen war,
die sich über nahezu ein Jahr erstreckt hatte. Das ist
alles Teil dieser Belästigung", wisperte Mark, das
machen die nur, weil es um Mumia geht".
Wunder der Überwachungstechnik
Als ein Besucher, der nach uns gekommen war, zu seinem Rendezvous
hereingebeten wurde, war es eindeutig an der Zeit, eine Frage zu
stellen. Mark begab sich zum Schreibtisch des diensthabenden Beamten.
Wir legten unser bestes Verhalten an den Tag, und Marks protestierende
Stimme war äußerst milde. Gab es ein Problem? Der diensthabende
Empfangsbeamte, eher klein gewachsen und schnurrbärtig, versicherte
uns, dass es kein Problem gebe, es sei alles nur Routine. Dann ließ
er uns deutlich die Routine erleben, indem er erst das Register,
dann den Computer konsultierte und schließlich die Vermutung
äußerte, dass es sich um eine logistische Verzögerung
handeln könne.
Vielleicht wurde gerade das Mittagessen serviert. Mark und ich
sahen die Wanduhr an: 20 Minuten vor Elf. Mittagessen morgens um
10:30 Uhr? Ja, sicher, doch, versicherte uns der Beamte, das sei
die normale Zeit. Und dann gab der stämmige Wachbeamte, der
an der Theke gelehnt hatte, seinen Kommentar dazu, und zwar mit
einer informierten Endgültigkeit, die keine weitere Diskussion
zuließ. Ja, erklärte er, Mumia sei dabei, sein Mittagessen
zu sich zu nehmen. Nun hatte ich aber jedes noch so kleine Ereignis
genauestens beobachtet, und ich hätte selbst vor einem Gericht
schwören können, welches Mitglied einer besuchenden Familie,
die wir dort trafen, zur Toilette gegangen war, wer Kaugummi kaute,
welches Kind herumkicherte.
Dieser Wächter aber hatte den Empfangsbereich nicht eine Sekunde
verlassen, noch hatte er mit irgendjemand per Telefon oder Walkie-Talkie
gesprochen. Und es gab keine Monitore, die in irgendwelche Zellen
geschaut hätten, und nicht ein einziger Vollzugsbeamter war
in den Raum gekommen, um eine Notiz bezüglich der Aktivitäten
der Insassen zu überbringen - wie also konnte dieser Beamte
dann erklären, und zwar dermaßen überzeugt, dass
Mumia dabei war, sein Mittagessen einzunehmen?
So war denn meine erste Frage an Mumia, als ich in meinen Besucher-Kubus
eingelassen worden war, gleich, nachdem wir uns niedergelassen hatten:
Wie war dein Mittagessen?" Er sah mich erstaunt an, und
ich erzählte ihm die Episode aus dem Warteraum. Mumia schüttelte
belustigt den Kopf. Aber an Wochenenden faste ich doch",
sagte er. Das wissen die doch alle. Ich hab kein verdammtes
Mittagessen zu mir genommen." Er lachte. Siehst du jetzt,
wie sie sich selbst belügen, siehst du, wie engstirnig sie
sind?"
Die Geschichte von Mumia Abu Jamal in diesem Gefängnis ist
eine von institutioneller Engstirnigkeit und der Entschlossenheit
eines Individuums, seine legalen Rechte und seine menschliche Würde
nicht der Machtgier dieser Institution auszuliefern. In diesem Gefängnis
gibt es inzwischen Regeln, die informell als Mumias Regeln"
bekannt sind. Sie sind aus schließlich für ihn gemacht,
und dies ungeachtet der Tatsache, dass deshalb das ganze Gefängnis
absurdesten Restriktionen ausgesetzt werden muss, allein um den
Schein normaler administrativer Prozeduren zu erwecken.
Mumia Abu Jamal. Oh ja, binnen weniger Minuten war klar, warum
die Kiefer des Todes fortgesetzt nach seinem Kopf schnappen, warum
der Staat Pennsylvania fest entschlossen ist, ihm das Herz rauszureißen.
Es war ja nicht so, dass ich einfach nur von Mumia gewusst hätte.
Ich wusste, dass ich ihn bereits kannte. Ich hatte natürlich
Live from Death Row gelesen und auch Death Blossoms, und ich war
zu dem festen Schluss gekommen: Mumias Leben war in Gefahr, weil
er nicht bereit war, zu betteln. Wenn Mumia einfach nur tiefste
Zerknirschung gemimt und um Gnade gebeten hätte, dann wäre
er seit wenigstens einem Jahrzehnt aus der Todeszelle raus. Und
noch bevor ich zehn Minuten mit Mumia gesprochen hatte, wusste ich,
dass ich richtig lag.
Mumia hat die menschenvernichtende Korruption des amerikanischen
Justizsystems angegriffen und dieses System war entschlossen, ihn
zu brechen oder ihn durch dieses Vorgehen umzubringen. Er befindet
sich eine Haaresbreite vom Tode entfernt, aber er ist dabei, zu
gewinnen. Zu gewinnen, weil das Gewissen der USA angefangen hat,
wach zu werden angesichts der Kriminalität eines Systems, in
das die Menschen so viel Vertrauen setzen. Für das Establishment
bedeutet ein Anhalten des Fließbandes der Exekutionen die
Möglichkeit einzugestehen, dass im Namen der Gerechtigkeit
unschuldige Menschenleben genommen worden sind. God's own
country" sieht sich endlich mit der Wahrheit konfrontiert,
dass kein Justizsystem göttlich oder gerecht ist, das unbeirrt
unschuldige Seelen in den Tod schickt.
Mumia Abu Jamal hat bei der späten Erweckung dieses Bewusstseins
eine entscheidende Rolle gespielt. Kaum verwunderlich, dass er während
einer Diskussion über einige seiner Kämpfe plötzlich
abbrach - nicht bei Kämpfen in seinem eigenen Fall, sondern
für andere. Der Moment war einer der Bestürzung angesichts
des nicht abreißenden Fadens notorischer Karikaturen von Rechtsprechung,
angesichts des Würgegriffs gegen alle nur denkbaren Maßnahmen
der Wiedergutmachung von Unrecht - das kleine, glücklose Individuum
gegen den Goliath eines Establishments, das nichts einzugestehen
bereit ist, nicht einmal die Möglichkeit eines Irrtums in der
Rechtsprechung.
Aus seiner Abgeschlossenheit hatte sich Mumia, auch der Gefängnisadvokat
genannt, voll und ganz damit beschäftigt, die Fälle von
Gefangenen vorzubereiten, ihre Schicksale in seinem Radioprogramm
und in seinen Zeitungskolumnen offen zulegen. Eine schelmisches,
aber engelhaftes Lächeln schwebte über seinem Gesicht,
als er sagte: Weißt du, einige Leute, denen ich sagte,
was ich dir jetzt sagen werde, glauben mir nicht, aber ich habe
das Gefühl, Du wirst es mir glauben." Sag's mir",
nickte ich zustimmend. Ich... habe... Spaß. Ja, glaub's
mir, ich... habe... Spaß."
Mumia Abu Jamals Spaß ist der hauchdünne Faden, an dem
Hunderte von Insassen der Death Row, und an ganz prominenter Stelle
Mumia selbst, hängen. Die Welt wartet darauf zu sehen, ob eine
Nation, die für sich die Führerschaft im Kampf für
Menschenrechte und Demokratie in Anspruch nimmt, es zulässt,
dass dieser dünne Faden durch den Irrglauben an juristische
Unfehlbarkeit durchtrennt wird, oder ob sie bereit ist, ihre Unschuldigen
in die Sicherheit zurückzuholen.
Wole Soyinka. (2001).
(Übersetzung: Gerd Meuer; GMeuer@aol.com).
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