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	Wolfgang Sterneck 
 
ALICE UND DIE ANTWORTEN 
 
- Ritual, Konsum und Ayahuasca - 
 
Der Schwerpunkt unserer Arbeit als "Alice - The Drug- and Culture-Project 
liegt liegt in der Arbeit mit Jugendlichen und jungen bzw. manchmal 
auch älteren Erwachsenen. Unsere Ziele liegen dabei im Zusammenhang 
mit Drogen einerseits in der Entwicklung einer Drogenmündigkeit, 
das heißt in einem möglichst souveränen, bewussten 
und selbstbestimmten Verhältnis zu psychoaktiven Substanzen, 
das auf sachlichen Informationen basiert. Dies mag fast schon banal 
klingen. Ein Blick auf eine größere Techno-Party oder 
auf das Oktoberfest macht schnell deutlich, dass hier in Bezug auf 
legale wie illegale Substanzen oftmals kein mündiger Umgang 
gegeben ist. 
 
Eine weitere Zielsetzung liegt in der kurzfristigen Risikominderung 
bei Jugendlichen, die zum Beispiel auf Parties Drogen nehmen - unter 
anderem über Safer-Use-Hinweise oder über die Ausgabe 
von Vitamin- und Mineraltabletten. Darüber hinaus gehen wir 
selbstverständlich bei Bedarf auf weitergreifende Probleme 
ein, wie psychische Problematiken im Zusammenhang mit dem Drogenkonsum 
oder Suchtprobleme. 
 
Uns ist dabei wichtig ist, dass wir nie nur auf die Drogen bzw. 
den Drogengebrauch blicken, sondern immer auch auf das persönliche 
Umfeld schauen, auf die direkte soziokulturelle Umgebung wie auch 
auf gesellschaftliche Zusammenhänge. Keine Droge wird in einem 
bezugslosen Raum konsumiert, die Szene in der man sich bewegt hat 
genauso einen Einfluss wie gesellschaftliche Faktoren. So ist beispielsweise 
der Gebrauch von Alkohol sozial akzeptiert bzw. entsprechend verbreitet 
und bekanntlich nimmt der Alkoholkonsum in gesellschaftlichen Krisenzeiten 
zu. 
 
Deshalb organisieren wir auch selbst alternative Parties oder Informationsveranstaltungen 
wie die heutige, die weit über eine reine Drogenaufklärung 
hinausgehen. Ebenso verteilen wir nicht nur Handzettel zu einzelnen 
Substanzen, sondern auch beispielsweise Infos zur Kommerzialisierung 
der Techno-Kultur oder Flyer mit antifaschistischen Inhalten, um 
Denkanstöße zu geben, die wiederum zu einer allgemein 
bewussteren Haltung beitragen können, die sich dann auch wieder 
im Verhältnis zu Drogen spiegelt. 
 
Der Name unseres Projektes "Alice - The Drug- and Culture-Project" 
bezieht sich auf das Kinderbuch "Alice im Wunderland" 
von Lewis Carrolll. Dieser beschreibt darin fantasievoll die Abenteuer 
eines Mädchens in einer anderen Welt - einer anderen Wirklichkeit 
- die sie durch das Durchqueren eines Tunnels bzw. eines Spiegels 
erreicht. In dieser anderen Welt erlebt Alice verschiedene bizarre 
Abenteuer. Zum Teil trifft sie lustige Gestalten, durchstreift fantasievolle 
Gegenden und setzt sich auf ihre besondere Weise mit der eigenen 
Persönlichkeit auseinander. Sie macht aber auch verstörenden 
Erfahrungen, wird mit Bedrohungen, mit Angst und auch mit Todesgefahren 
konfrontiert. 
 
Mit etwas Fantasie lässt sich "Alice im Wunderland" 
wie eine Sammlung verschiedener Drogenerfahrungen lesen. An manchen 
Stellen sind sie sogar ganz konkret beschrieben, wenn Alice beispielsweise 
an einem Pilz knabbert und ihre Größe verändert. 
Die etablierte Literaturforschung bestreitet allerdings bis heute 
derartige Zusammenhänge. - Wo kämen wir auch hin, wenn 
eingestanden würde, dass in einem der berühmtesten Kinderbücher 
aller Zeiten Drogen konsumiert werden? 
 
Wir bei Alice legen großen Wert auf die Eigenverantwortlichkeit 
der einzelnen Person. Wir stellen uns nicht mit erhobenen Zeigefinger 
hin und sagen den Leuten was richtig oder falsch ist. Vielmehr versuchen 
wir insbesondere über die Weitergabe von Informationen zu einer 
reflektierten Haltung beizutragen. 
 
Vor diesem Hintergrund haben wir aus "Alice im Wunderland" 
folgenden Leitsatz abgeleitet:  
 
"Die Antworten liegen in mir" sagte Alice als sie lächelnd 
durch den Spiegel trat. 
 
 
Es gab keine Epoche in der Geschichte der Menschheit, in der nicht 
versucht wurde, den Spiegel zu durchschreiten und in andere Wirklichkeiten 
zu gelangen. Die Wege dorthin sind vielfältig, in einigen Kulturen 
ist es der trancehafte Tanz, in anderen sind es besondere Atemtechniken, 
Meditationen, die Sexualität oder der Gebrauch bestimmter psychoaktiver 
Substanzen.  
 
Gegenwärtig werden psychoaktive Substanzen in unserer westlichen 
Kultur in zahlreichen Fällen unreflektiert und stark risikobehaftet 
gebraucht oder im Sinne einer Flucht genutzt. Die Gründe hierfür 
sind vielfältig, wobei mangelnde Informationen, individuelle 
Defizite und auch eine oberflächliche Konsumhaltung wesentliche 
Aspekte bilden. Zu den strukturellen Ursachen gehören gesellschaftspolitische 
Faktoren, wie soziale Missstände, aber auch die Erfahrung zwischenmenschlicher 
Entfremdung als Folge eines Systems, welches Leistung und Profit 
über den einzelnen Menschen stellt.  
 
Bei einigen Stämmen im Amazonas-Gebiet ist es Ayahuasca, das 
es ermöglicht den Spiegel zu durchschreiten und die Türen 
in diese anderen Wirklichkeiten öffnet. Der Ayahuasca-Trank 
besteht aus verschiedenen psychoaktiven Pflanzen, darunter insbesondere 
aus einer Liane. Der Hauptwirkstoff ist das DMT. Ayahuasca wird 
von Schamanen zur Heilung genutzt, es ermöglicht visionäre 
Wahrnehmungen und den Übergang in eine andere Welt, die von 
den Schamanen als die eigentliche verstanden wird. - Wir werden 
später insbesondere beim Beitrag von Christian Rätsch 
dazu noch genaueres hören. 
 
Ayahuasca ist inzwischen auch in Westeuropa und den Vereinigten 
Staaten verbreitet. Dabei sind der Umgang mit der Substanz und die 
entsprechenden Definitionen sehr unterschiedlich. Ich möchte 
auf einige Ansätze eingehen. 
 
Interessanter Weise findet Ayahuasca gerade in der Esoterik- und 
New-Age-Szene besondere Aufmerksamkeit. Hier zeigt sich ganz besonders 
die Bedeutung der Definition. Denn hier konsumieren viele Personen 
Ayahuasca, die die Substanz nie genommen hätten, wenn man ihnen 
gesagt hätte, dass Ayahuasca eine Droge ist. Vielmehr wird 
der Trank dort von Seminar-TeilnehmerInnen als schamanisches Heilmittel 
bzw. als Medizin gebraucht. 
 
Eine andere Definition: Ayahuasca als der neue Kick. Gerade die 
Party-Szene und in einem gewissen Rahmen auch Teile der psychedelischen 
Bewegung, soweit man überhaupt davon sprechen kann, ist immer 
wieder auf der Suche nach neuen Reizen, nach neuen Kicks. Man kifft 
schon ewig, hat Ecstasy längst hinter sich, Erfahrungen mit 
LSD, mit psychoaktiven Pilzen und vielleicht auch mit Ketamin - 
und dann gibt es diese "neue" Droge Ayahuasca - ganz biologisch 
und irgendwie hat sie auch noch was mit Schamanismus zu tun - und 
Schamanen sind "in". "Dann probieren wir es halt 
mal ..." 
 
Unterschätzt wird dabei vielfach, dass selbstverständlich 
auch biogene Sunstanzen hohe Risiken beinhalten. Ebenso unterschätzt 
wird, dass generell psychedelische bzw. entheogene Substanzen nicht 
nur Visionen eröffnen können, sondern auch die inneren 
Abgründe. Zudem wird unterschätzt, dass der unreflektierte 
Gebrauch von psychedelischen oder entheogenen Substanzen als Spaßdrogen 
die "halt mal die Optics verschieben" ihnen ihr Potential 
nimmt. 
 
Es macht keinen Sinn eine solche Substanz unreflektiert in einem 
anderen kulturellen Kontext zu gebrauchen. Aber ebenso wenig macht 
es Sinn ein ursprüngliches Ritual beispielsweise von einem 
Stamm im Amazonas identisch zu übernehmen. Der kulturelle Background 
ist zu unterschiedlich. Zudem wird dies oftmals von denjenigen, 
denen diese Rituale in ihrem Kontext heilig sind, als respektlose 
Vereinnahmung empfunden 
 
Notwendig ist vielmehr unter Achtung ursprünglicher Bezüge 
und vor dem Hintergrund unserer eigenen Erfahrungen und kulturellen 
Bezüge eigene Rituale zu entwickeln. Sozusagen wie die Angehörigen 
eines Cybertribe, eines modernen Stammes der überliefertes 
Wissen genauso einbezieht wie die Entwicklungen der Gegenwart. 
 
Wie schnell die Bedeutung der Definition zur Macht der Definition 
wird, zeigt sich im Zusammenhang mit dem rechtlichen Status von 
Ayahuasca in Deutschland. Der Frankfurter Oberstaatsanwalt Körner, 
ein Experte in allen juristischen Fragen zu Drogen, teilte mir auf 
Anfrage mit, dass DMT, der Hauptwirkstoff des Ayahuasca, der Anlage 
1 des Betäubungsmittelgesetzes untersteht. "Aufgrund der 
Klausel, die am letzten Spiegelstrich der Anlage 1 angefügt 
ist, unterliegen auch Pflanzen und Pflanzenteile in bearbeitetem 
oder unbearbeitetem Zustand, die in dieser oder einer anderen Anlage 
aufgeführten Stoffe enthalten, dem BtMG, wenn Missbrauch zu 
Rauschzwecken vorgesehen ist. Dies bedeutet, dass der Umgang mit 
DMT-haltigen Pflanzen zu Konsumzwecken ohne eine Ausnahmegenehmigung 
verboten und strafbar ist. Die Zielsetzung des Umgangs: Medizinische 
Behandlung oder drogenhafte Berauschung spielt für die Einstufung 
als Betäubungsmittel keine Rolle." 
 
Ganz anders wird definiert, wenn es um die Frage nach wirtschaftlichem 
Profit geht. Wir leben bekanntlich im Zeitalter der Globalisierung, 
wobei sich die Globalisierung vielfach auf die Bereiche kultureller 
Gleichschaltung und wirtschaftlicher Ausbeutung bezieht. Produziert 
wird dort wo es am billigsten ist und dies heißt konkret, 
wo die Löhne am niedrigsten sind, und am besten keine Gewerkschaften 
und Arbeitsschutzgesetze bestehen. Und vermarktet wird das, was 
Profit verspricht. Und so verwundert es auch nicht, dass sich das 
Unternehmen "International Plant Medicine Corporation" 
(IPMC) aus Kalifornien alle Patent-Rechte für die Ayahuasca-Liane 
erfolgreich sichern ließ - und dazu gehört die kommerzielle 
Verwertung als Medikament. Dieser Vorgang ist längst zu einem 
Symbol für Entrechtung indigener Völker geworden. So paradox 
es klingen mag, denkt man die Patenfrage zu Ende, dann muss der 
globalisierte Schamane für jedes Ayahuasca-Ritual Gebühren 
zahlen ... 
 
Dieser Vorgang entspricht der Logik eines Denkens, das auf ein ständiges 
ökonomisches Wachstum und auf Fortschritt setzt, und dabei 
ignoriert, dass dieser Fortschritt tatsächlich oftmals zu Stillstand 
oder gar zerstörenden Rückschritt führt. 
 
Oder anders formuliert - ich zitiere aus "Alice im Wunderland": 
 
Erschöpft saß Alice am Boden. Sie war gerannt und gerannt 
und gerannt, aber irgendwie war sie trotzdem noch am Anfang. Es 
hat sich ja überhaupt nichts verändert! sagte sie. 
Natürlich nicht! antwortete die Königin. Hier 
bei uns musst du so schnell laufen wie du kannst, um an der gleichen 
Stelle zu bleiben. Und wenn du woanders hin willst, dann musst du 
mindestens doppelt so schnell sein... 
 
 
Wir stellen bei unserer Arbeit im Alice-Project immer wieder fest, 
dass gerade bei jüngeren Personen bis zum Alter von etwa 25 
Jahre eine ausgeprägte Konsummentalität in Bezug auf Drogen 
weit verbreitet ist. Das Bestreben liegt vorrangig in dem Ziel, 
während der Party möglichst druff zu sein. 
Es ist keine Seltenheit, das vier, fünf verschiedene Substanzen 
in einer Nacht in zum Teil hohen Dosierungen miteinander kombiniert 
werden. 
 
Die Konsummentalität und die hohe Risikobereitschaft sind jedoch 
keineswegs auf den Drogenkonsum beschränkt, vielmehr sind sie 
eine Zeiterscheinung. In zahlreichen Bereichen geht es zunehmend 
darum, nicht aktiv zu gestalten, sondern passiv zu konsumieren - 
dies gilt für Jugendliche wie für Erwachsene. In Bezug 
auf Drogen und die dadurch angestrebten Erlebnisse geht es darum, 
am besten wie per Knopfdruck am Fernsehapparat einen bestimmten 
Zustand zu erreichen. Zum Beispiel durch das Einwerfen einer Ecstasy-Pille 
glücklich zu sein, durch LSD möglichst gleich zur Erleuchtung 
zu gelangen oder durch das Einnehmen einer Substanz wie Ayahuasca, 
scheinbar ohne größer etwas dafür tun zu müssen, 
zur inneren Heilung zu gelangen. 
 
Ein solcher Ansatz führt in der Regel schnell in eine Sackgasse, 
wobei dafür dann nicht eine psychoaktive Substanz oder ein 
Ritual verantwortlich ist, sondern die einzelne Person selbst. Zu 
oft wird versucht die innere Leere, die in unserer Gesellschaft 
so verbreitet ist, durch eine Droge auszufüllen. Zu oft wird 
versucht durch Rituale, die unhinterfragt aus anderen Kulturen übernommen 
werden, etwas zu finden - ohne sich überhaupt zuvor klar zu 
sein, was man überhaupt sucht. 
 
Oder - wie es in "Alice im Wunderland" heißt: 
 
Alice fragte die Katze: "Würdest Du mir bitte sagen, wie 
ich von hier aus weitergehen soll?" 
Die Katze antwortete: "Das hängt zum großen Teil 
davon ab, wohin Du möchtest" 
Nun ja, eigentlich ist es mir ziemlich egal. sagte Alice. 
 
Die Katze erwiderte: Wenn du nicht weißt, wohin du willst 
- dann ist es auch egal, wie du weitergehst.  
 
 
Oftmals stellen wir uns schnell die Frage, was uns ein Ritual oder 
auch ein Seminar oder eine Party geben kann. Doch dies ist um Grunde 
erst die zweite oder dritte Fragestellung, die sich stellt. Die 
erste Frage sollte sein, wohin wir wollen. Und erst dann, wenn wir 
dazu eine Antwort gefunden haben und wir diese nicht nur für 
uns beantworteten, sondern auch etwas weiter schauen und sie in 
einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang stellen, dann können 
wir schauen welches Ritual, welches Seminar, welche Party oder was 
auch immer uns dabei weiterhilft unser Ziel zu erreichen. Zuerst 
stellt sich die Frage, wohin wir wollen, erst dann, wie wir dorthin 
gelangen ... 
 
Und so komme ich am Ende meiner Ausführungen wieder an den 
Anfang: 
 
"Die Antworten liegen in mir" sagte Alice als sie lächelnd 
durch den Spiegel trat. 
 
 
 
Manuskript eines Vortrages auf der Veranstaltung: "Ritual 
und Konsumgesellschaft am Beispiel der psychedelischen Substanz 
Ayahuasca" am 6.10.2004 in Frankfurt am Main. 
 
Wolfgang Sterneck: 
w.sterneck@sterneck.net
 
  
 
  
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